Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
Vom Netzwerk:
dieser das Band mit meinen Tribschener Freunden noch enger geknüpft. Ich werde noch zur wandelnden Hoffnung: auch Richard Wagner hat mir in der rührendsten Weise zu verstehen gegeben, welche Bestimmung er mir vorgezeichnet sieht. 157 Wagner formuliert das so: »Ich habe jetzt niemanden, mit dem ich es so ernst nehmen könnte, als mit Ihnen, – die Einzige ausgenommen. Gott weiss, wie ich es sonst noch anfange! … Sie könnten mir nun viel, ja ein ganzes Halbtheil meiner Bestimmung abnehmen. Und dabei gingen Sie vielleicht ganz Ihrer Bestimmung nach.« 158 Die Aufgabe lautet: »Nun zeigen Sie denn, zu was die Philologie da ist und helfen Sie mir, die grosse ›Renaissance‹ zu Stande zu bringen, in welcher Platon den Homer umarmt.« 159 Und zwar so, dass der alte Schlachtenberichterstatter dabei ganz ideensinnig wird. Wagners Nibelungen sind schließlich kaum geringere Raufbolde als die der Ilias. Sollten die wirklich geistdurchlässig, beseelbar sein? Um die große Versöhnung von Wissen und Kunst geht es, um eine Centauren-Geburt. Wagner nennt Nietzsches »Sokrates« bereits den »Centauren-Vortrag«. Ob jetzt dem Referenten schwindlig wird?

»Der Walkürenritt«,
Gemälde von Ferdinand
Keller, um 1900.
    Krieg und Walküre
    Sie stützt den Kopf auf den Arm. Es ist die Haltung der versunken Anschauenden. Aber der Blick der jungen Frau hält nichts. Sie sieht weit hinaus, sehr weit, aber vergeblich. Ihr Blick geht doch nach innen. Dass sich dort etwas Erfreuliches zeigen könnte, ist ein romantischer Irrtum. Innen? Eine Wüste. Da wächst nichts.
    Cosima und Richard Wagner betrachten Dürers »Melancholia«, dieses Sinnbild von Vergeblichkeit und Vergängnis. Und das wäre sie auch ohne das Stundenglas über ihr. Zuletzt ist der Mensch interniert in sich selbst, und das ist vielleicht die härteste Haft. Das Urteil lautet: lebenslänglich.
    Cosima hat sich das Blatt schon lange gewünscht, Nietzsche fahndete nach ihm, am Ende gewissermaßen europaweit, denn auch der Italienreisende Rohde war instruiert. In Venedig hatte er schließlich Erfolg. Es ist keine gute Kopie, aber es ist die »Melancholia«, und nun liegt diese nahe Verwandte Cosimas vor ihnen. Richard Wagner befindet, dass Dürer zu Bach gehöre und beide ans Ende des Mittelalters. Es ist der 14. Juni 1870, es ist noch gegen Abend sehr schwül.
    Die »Augsburger Allgemeine« kommt und meldet, dass man sich früher sehr für Richard Wagner interessiert habe, heute nicht mehr. Nicht die Bosheit und das ihr ohne Zweifel zukommende Attribut der Existenz sei erstaunlich, sondern die Tatsache, dass sie immer wieder überrasche, überlegt sinngemäß der Besprochene.
    Am nächsten Morgen trifft Cosimas Hochzeitskleid ein, dabei ist sie noch nicht einmal geschieden, will aber vorbereitet sein. Gleich wird sie nochmals versichern müssen, dass sie nicht vorhabe, »heimzukehren«. Das Wort trifft. Der Mann, den sie heiraten will, denkt inzwischen über Ameisenhaufen nach. Die Natur habe den Menschen nicht größer angelegt als zu dieser Organisationsform, was besonders an den Engländern und den Schweizern zu erkennen sei; »große Geister«, notiert Cosima seine Worte, »sind Anomalien«. Wenn die Völker selbst dagegen mit Phantasie begabt seien, mache das die Sache auch nicht besser. Denn dann brächten sie es nicht einmal bis zum Ameisenhaufen.
    Einen Tag später schreibt Richard Wagner in einem plötzlichen Anflug von Verzweiflung an seinen König, er möge die »Walküre« nur für sich aufführen lassen. Vergeblich. Er erfährt stattdessen, dass in München eine Art Nibelungen-Festspielsommer beginnen soll: »Rheingold« und »Walküre« im Wechsel, gleich dreimal hintereinander. Wagners Freunde wissen, dass dieser Ehrentitel von ihnen fordert, dem Ereignis nicht beizuwohnen, weder auf der Bühne noch im Zuschauerraum. Mitteilungen der Form Das-schaffen-wir-Nicht! mehren sich.
    Cosima sieht mit Sorge den sich verdüsternden Zustand des Mannes, der noch nicht ihr Mann ist, und verhängt eine Nachrichtensperre. Sie fängt alle eintreffenden Briefe ab. Doch was geht ihn, Richard Wagner, gerade jetzt sein Werk an? Kos, der Pinscher, ist krank. Er hat die Räude, ein Auge ist schon verloren. Andere hätten den ganzen Pinscher längst verloren gegeben und seine Hausgenossenschaft abrupt beendet. Richard Wagner trägt ihn am Generalprobentag seiner »Walküre« von Tribschen fort – aber nur, um ihn einem Augenarzt vorzustellen.
    Der Arzt findet warme Worte

Weitere Kostenlose Bücher