Night School 01 - Du darfst keinem trauen
kommen, doch Allie machte das nervös: Sie waren immer noch zu nah an der Schule.
»Wo müssen wir jetzt hin?«, fragte sie drängelig. Jo nickte nach rechts, und Allie hielt sie gestikulierend an, weiterzulaufen. In langsamerem Tempo trabten sie weiter.
Zunächst wirkte der Wald vollkommen still, doch irgendwann hörte Allie, wie es immer wieder raschelte und hie und da ein Zweig knackte. Sie griff nach Jos Hand, drückte sie und nickte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. An Jos leuchtend weißen Zähnen erkannte Allie, dass sie lächelte.
»Die anderen«, flüsterte Jo.
Je weiter sie sich von der Schule entfernten, desto unvorsichtiger wurden die Schüler, und bald vernahmen die drei noch mehr Geräusche: gedämpftes Kichern, gelegentlich einen leisen Fluch, wenn jemand stolperte, imitierte Vogelrufe, gefolgt von unterdrücktem Gelächter. Allie spürte, wie die Spannung zwischen ihren Schulterblättern nachließ.
Jo blieb so plötzlich stehen, dass Allie und Lisa sie fast über den Haufen gerannt hätten.
»Wir sind da«, flüsterte sie und verschwand hinter einem Busch. So angestrengt sie auch guckte, Allie konnte keinen Weiher entdecken, nur Bäume und Sträucher. Trotzdem folgte sie Jo in das Gebüsch.
»Wieso verstecken wir uns?«, flüsterte Lisa.
»Vor Mitternacht darf keiner wissen, wer alles hier ist«, erklärte Jo. »Aus Tradition.«
»Woher weißt du das eigentlich alles?«, fragte Allie.
»Mein Bruder hat es mir erzählt«, antwortete Jo.
Jos Armbanduhr hatte ein Leuchtziffernblatt, und die drei verfolgten, wie sich der Minutenzeiger unaufhaltsam auf Mitternacht zuschob.
»Wo ist Ruth?«, fragte Allie.
Jo hob achselzuckend die Hände. »Sie sollte entweder in der Schule oder auf dem Weg zu uns stoßen, deshalb vermute ich mal, dass sie schon irgendwo hier ist.« Sie sah wieder auf die Uhr.
»Gleich ist es so weit«, wisperte sie und grinste breit. »Macht euch bereit.«
Allie spürte, dass Lisa zitterte. Sie hätte sie gern beruhigt, doch sie war selbst ein Nervenbündel. Sie atmete tief ein und blickte in die Richtung, in der sie den Weiher vermutete.
Das ist doch jetzt echt nicht wahr, oder? Heutzutage badet doch keiner mehr nackt, so was gibt’s doch nur im Film!
In diesem Augenblick durchbrach eine tiefe männliche Stimme die Stille, so laut, dass sie zusammenfuhr. »Es ist so weit, Leute. Hosen runter!«
Jo begann sofort, sich die Shorts aufzuknöpfen. Als sie sah, dass Allie und Lisa sich nicht vom Fleck rührten, hielt sie inne und sah sie mahnend an.
»Ihr müsst mitmachen«, sagte sie. »Wenn ihr jetzt einen Rückzieher macht, macht ihr alles nur schlimmer.«
Lisa und Allie wechselten einen angstvollen Blick. »Wenn du dabei bist, mach ich auch mit«, sagte Lisa schließlich.
Allie hörte, wie die anderen unter Schreien und Gelächter ins Wasser sprangen.
»Ach, was soll’s«, seufzte sie tief und begann, ihre Trainingshose auszuziehen. Jo stieß einen Jauchzer aus und riss sich die Shorts herunter. Im Nu waren alle drei nackt. Lisa und Allie hielten sich schützend die Arme vor die Brust, doch Jo griff nach ihren Händen.
»Wenn schon, denn schon«, rief sie und zog sie auf den Pfad.
In der Finsternis konnte Allie kaum etwas sehen, ab und zu blitzte Haut auf, wenn jemand ins Wasser sprang oder wieder auftauchte.
»Auf drei«, rief Jo kichernd. »Eins. Zwei …«
Sie rannten los und stürzten sich ins eisige Nass. Allie konnte den Weiher in der Dunkelheit kaum ausmachen. Als sie ins Wasser eintauchte, wurde das Lachen und Gekreische um sie herum schlagartig gedämpft. Zu ihrer Überraschung konnte sie nicht stehen – und sie war nie eine gute Schwimmerin gewesen. Während sie an die Oberfläche ruderte, durchzuckte sie eine Erinnerung: Ein heißer Sommertag, sie war sieben, und Christopher neckte sie, weil sie wie ein Stein im Pool untergegangen war. »Du rennst zwar wie ein Kaninchen, aber du schwimmst auch wie ein Kaninchen …«, hatte er sie ausgelacht, während sie wie wild herumpaddelte.
Prustend und fröstelnd tauchte sie auf und schnappte nach Luft, doch sie konnte Jo und Lisa nirgendwo entdecken.
»Jo?«
Wie hatte sie die beiden in so kurzer Zeit aus den Augen verlieren können? Der Weiher war voller lachender Schüler, doch nirgends sah sie ein bekanntes Gesicht. Während sie suchend durchs Wasser paddelte, wurde Allie langsam panisch. Nackt und allein in einem See mit lauter Fremden. Tränen der Angst und Scham brannten ihr heiß in den
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