Night School 02 - Der den Zweifel saet
als versuchte er, sich ein Lächeln abzuringen, doch es gelang ihm nicht.
Alle Aufgekratztheit war mit einem Schlag verflogen. Allie ließ sich in ihren Stuhl sinken und sah hinunter auf ihr Schreibheft. Carters Anblick verursachte ihr ein schreckliches Gefühl, jedes Mal.
Als Isabelle das Licht dimmte und den Fernseher einschaltete, verstummten die Schüler sofort und starrten gespannt auf den Bildschirm.
»Mann, hab ich das vermisst«, flüsterte einer.
Obwohl der Film Längen hatte und die Handlung verwickelt war, war die technikausgehungerte Klasse wie gebannt. Es ging um einen jungen Mann, der die falsche Frau heiratet. Obwohl sie eigentlich genug mit ihren eigenen Sorgen und Ängsten zu tun hatte, ließ auch Allie sich nach ein paar Minuten von der Story fesseln und wünschte sich, Newland Archer möge mit Ellen davonlaufen.
Als Ellen ihn fragte: »Wie können wir hinter dem Rücken von Menschen, die uns vertrauen, glücklich sein?«, schlug Allie betroffen die Hand vor den Mund.
Da spürte sie, dass sie beobachtet wurde, und schaute auf. Gegenüber im abgedunkelten Raum sah Sylvain sie an. Der flackernde Widerschein der Mattscheibe spiegelte sich in seinen blauen Augen. Lange trafen sich ihre Blicke. Ähnlich verworrene Gefühle, wie sie jetzt durch ihren Körper jagten, hatte Allie noch nie empfunden. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, war sauer auf ihn, sehnte sich nach ihm … Alles auf einmal. Ihr war, als würden sie durch diesen langen Blick miteinander sprechen. Und sich Dinge sagen, die laut auszusprechen sie sich nicht trauten.
Schließlich konnte sie die Spannung nicht mehr ertragen und wandte sich wieder dem Film zu. Erst da bemerkte sie, dass sie die Fäuste so fest geballt hatte, dass die Nägel blasse Halbmonde in ihren Handflächen hinterlassen hatten.
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Siebenundzwanzig
Der Tag des Winterballs begann kalt und klar, für später war Schnee angesagt. Man wusste nicht, ob man sich mehr auf den Ball mit seiner eindrucksvollen Gästeliste aus internationalen Politikern und Milliardären freuen sollte oder auf die Massenschneeballschlacht, die unweigerlich anstand.
Die Schüler hatten unterrichtsfrei und verbrachten den Tag überwiegend mit Packen, da die meisten von ihnen Cimmeria am nächsten Tag verlassen und erst nach den Weihnachtsferien wiederkommen würden. Allie hatte keinen Grund zu packen. Sie würde erst an Heiligabend auf ein paar Tage mit zu Rachel fahren und danach gleich wieder in die Schule zurückkehren. Ihre Eltern und Isabelle hatten entschieden, dass Allie Weihnachten dieses Jahr unter keinen Umständen in London verbringen durfte. Nicht nach allem, was im August passiert war.
Unten in der Eingangshalle war ein riesiger Weihnachtsbaum aufgestellt worden, und ein weiterer, kleinerer stand im Aufenthaltsraum, geschmückt mit roten und goldenen Lichterketten und mit so vielen Christbaumkugeln beladen, dass er darunter zusammenzubrechen drohte. Das ganze Gebäude duftete nach Tannennadeln und Zimt. Auf dem Klavier neben dem Baum spielten Schüler Weihnachtslieder. Allie, der trotz alldem kein bisschen feierlich zumute war, hatte die bevorstehenden Feiertage bisher ignoriert. In ihrem Zimmer hingen weder ausgeschnittene Schneeflocken noch Lametta.
Sie hatte zwei Ziele: Erstens die bevorstehende Begegnung mit Lucinda – der sie alle möglichen Fragen stellen wollte.
Und zweitens natürlich, am Leben zu bleiben.
Sie war immer noch davon überzeugt, dass Nathaniel während des Balls etwas unternehmen würde und dass man in Cimmeria darauf nicht vorbereitet war.
Doch ob sie wollte oder nicht – der Ball würde in jedem Fall stattfinden. Deshalb gab sie sich, als sie nachmittags mit ihrem Kleid im Arm an Jos Tür klopfte, alle Mühe, ein festliches Gesicht zu machen, und zwar Jo zuliebe. Denn wenn Jo merkte, dass Allie sich sorgte, würde auch sie anfangen, sich Sorgen zu machen.
Im krassen Gegensatz zu ihrem war Jos Zimmer in fast schon grenzwertiger Manier weihnachtlich geschmückt. Auf dem Tisch schimmerte ein LED -Christbaum, im Bücherregal waren Lichterketten drapiert, und um den Stuhl wand sich ein schimmerndes Goldband. Von seinem Posten auf einem Kissen überwachte ein Plüschweihnachtsmann misstrauisch den Raum.
»Wir müssen uns unbedingt was Besonderes für den Ball ausdenken«, sagte Jo aufgekratzt.
»Und was schwebt dir da so vor?« Allie hängte ihr Kleid an einen Haken an der Tür und ließ sich zwanglos neben dem Weihnachtsmann auf Jos Bett
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