Night School 02 - Der den Zweifel saet
wechselte sie das Thema.
»Arbeitest du heute wieder mit Jo zusammen?«
Allie nickte. »Wir malern. Ich nehme meine Kunst nämlich ernst.«
Rachel lächelte, doch ihre Augen waren immer noch sorgenvoll. »Was meinst du, wie geht es ihr?«
Allie dachte daran, wie Jo gestern gelacht und Wände geschrubbt hatte. »Besser, als ich erwartet habe. Im Großen und Ganzen … gut.«
»Vielleicht ein bisschen
zu
gut?« Der Gedanke kam Allie im selben Moment, in dem Rachel ihn aussprach.
»Was willst du …«, sie stolperte über ihre eigenen Worte. »Glaubst du, sie spielt uns das nur vor? Ich meine, Isabelle hat sie schließlich zur Psychologin geschickt.«
Rachel wirkte nicht überzeugt. »Ich will nicht fies klingen, aber Jo ist eine Meisterin der Täuschung und Manipulation – das wäre jeder, der so aufgewachsen ist wie sie. Da passiert ihr diese furchtbare Geschichte, und trotzdem bleibt sie ganz die alte Jo, die ständig übersprudelt vor guter Laune.« Sie zuckte die Achseln. »Irgendwas stimmt da nicht. Nicht, dass sie wieder einen Zusammenbruch erleidet. Also … behalt sie mal lieber gut im Auge.«
Allie nickte. »Das werd ich.«
»Und sei vorsichtig mit all den Sachen«, Rachel machte eine vage Geste, »auf die du dich hier einlässt. Pass auf dich auf.«
»Ich bin ja nicht allein«, erwiderte Allie. »Ich hab ja deinen Vater, der auf mich aufpasst.«
Der Blick, den Rachel ihr zuwarf, gefiel ihr gar nicht. »Der wird dich nicht weniger hart rannehmen, nur weil er dich mag. Er ist tougher, als du denkst.«
»Ich bin bereit«, versprach Allie – und fragte sich, ob sie es tatsächlich war.
»Willkommen in der Cimmeria Academy! Die neuen Schüler bitte alle links aufstellen, die anderen rechts.«
Isabelle stand auf einem kleinen, weißen Podest am hinteren Ende des Rittersaals. Sie musste nicht schreien, sondern schaffte es irgendwie, sich mit ihrer kräftigen Stimme über dem Lärm von zweihundert plappernden Schülern Gehör zu verschaffen. Es war der erste Tag des Herbsttrimesters. Allie und Rachel standen in der rechten Schlange und trugen die gleichen weißen, langärmligen Blusen mit dunkelblauem Schulwappen zu ihren dunkelblauen Plisseeröcken.
»Mein Gott, ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber ich freue mich echt, wieder diese blöde Uniform anzuhaben«, sagte Allie und strich den Saum ihres Rocks glatt.
»Ich hab’s gehört«, sagte Rachel und zog die Nase kraus. »Aber ich hab dazu ’ne andere Meinung.«
Sie musterten die neuen Schüler in der Schlange gegenüber.
»Die sehen alle so jung und nervös aus«, sagte Allie. »Hab ich auch so ausgesehen, als ich angefangen habe?«
»Natürlich nicht.« Rachel warf ihren langen, lockigen Pferdeschwanz über die Schulter. »Sieht das nicht unglaublich aus hier?«, fragte sie.
»Total.« Allie ließ ihren Blick über die eichenvertäfelten Wände gleiten und von dort in den Flur, wo die Holzböden frisch poliert glänzten und die Kronleuchter vom Staub befreit funkelten. »Ich kann gar nicht glauben, dass wir das hingekriegt haben. War das eine Arbeit …« Sie knickte und streckte ihre Finger und betrachtete staunend ihre allmählich verheilenden Blasen.
»Es bleibt immer noch jede Menge zu tun, aber das Gröbste haben wir hinter uns.«
»Gott sei’s getrommelt«, erwiderte Rachel. »Was ich an Büchern sortiert und gestapelt, gemalert und gekehrt hab, das reicht für ein ganzes Leben.«
»Aber echt«, sagte Allie. Die vergangenen zehn Tage hatten sie ohne Unterbrechung geackert und geschuftet. Hatten Wände geschrubbt und gestrichen, schwere Orientteppiche zum Reinigen gebracht und wieder abgeholt, Böden gewienert und gebohnert und pausenlos Möbel von A nach B geschleppt. Abends war Allie so erschöpft vom Arbeiten gewesen, dass sie zu nichts anderem mehr in der Lage war und nur noch müde ins Bett sank. Es blieb zwar noch einiges zu tun, doch das Gebäude war hinreichend renoviert worden, damit das Trimester pünktlich beginnen konnte.
»Hey, Allie.«
Sie drehte sich um. Vor ihr stand ein Mädchen und musterte sie ausdruckslos. Das Sonnenlicht ließ ihr langes, rotes Haar leuchten und ihre milchigweiße Haut glänzen.
»Ach.« Allie steckte die Hände in die Rocktaschen und versuchte, locker zu wirken. »Hi, Katie.«
Katie schien sich unbehaglich zu fühlen. Sie fummelte am Saum eines dunkelblauen Pullovers, der jede Wette maßgeschneidert worden war, so verflixt gut passte er ihr. »Kann ich dich mal kurz
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