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Night School 02 - Der den Zweifel saet

Night School 02 - Der den Zweifel saet

Titel: Night School 02 - Der den Zweifel saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Daugherty
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umgestürzten Baum klettern, der ihr den Weg versperrte. Ihr Herz klopfte – solange sie nicht darüber hinweg war, war sie angreifbar. Vor Panik vergaß sie alle Vorsicht und stürzte blindlings durchs Geäst.
    Auf der anderen Seite sah sie auch schon die Mauern der Kapelle vor sich. Kurz vor dem Friedhof verließ sie den Pfad und schlich vorsichtig zwischen den Bäumen hindurch. Welker Farn raschelte leicht bei jedem ihrer Schritte und streifte ihre Finger wie Federn. In der Nähe hörte sie Wasser rauschen.
    Wie Sylvain versprochen hatte, führte hinter der Kapelle ein schmaler Pfad hinunter zum Bach, dem sie bis zum Wasser folgte. Dort lichtete sich der Wald, und man sah das matschige, vom Mond beschienene Ufer. Allie stand nun genau an der Stelle, von wo aus Isabelle im Sommer mit Nathaniel gesprochen hatte.
    Mutterseelenallein stand sie da und spähte in die Dunkelheit nach ihrem Bruder, doch im Wald rührte sich nichts. Die heftigen Regenfälle der letzten Tage hatten den Bach im Vergleich zum Sommer auf gut das Dreifache anschwellen lassen. Nicht mehr lange, und er würde über die Ufer treten. Aus dem Bach war ein kleiner Fluss geworden, dessen Fluten zu ihren Füßen vorbeirauschten.
    Die Trittsteinbrücke stromabwärts war völlig überspült. Während sie das Wasser darüber hinwegschießen sah, kam ihr der Gedanke, wie spaßig es sein musste, an einem heißen Sommertag über diese Steine zu hopsen – an so einem Tag, an dem man insgeheim hofft, danebenzutreten und hineinzufallen.
    »Allie.«
    Sie hatte Christopher nicht bemerkt. Nun stand er am anderen Ufer und sah sie aus ruhigen Augen an, die genauso grau waren wie ihre.
    »Oh.« Bei seinem Anblick durchfuhr sie ein realer, körperlicher Schmerz. Sie schlug die Hand vor den Mund und versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
    Mann, ist der alt geworden!
    Sein widerspenstiges, hellbraunes Haar war kurz geschoren, und er wirkte irgendwie größer als früher. Sie kannte ihn immer nur in Jeans und T-Shirt. Nun aber trug er Anzug und Krawatte, und das dunkle Sakko bedeckte die breiten Schultern eines Mannes.
    Erst als er lächelte, erkannte sie den sechzehnjährigen Jungen wieder, der sie von der Schule abgeholt und ihr bei den Hausaufgaben geholfen hatte. »Ich wusste, dass du mich nicht hängen lässt.«
    »Christopher, ich hab dich so vermisst!« Unter Tränen erwiderte sie das Lächeln. »Ich musste einfach wissen, ob es dir gut geht. Deine Haare sind so … kurz.«
    Das ist ja mal ’ne tolle Begrüßung – nachdem man sich so lange nicht gesehen hat.
Allie errötete.
    Doch er schien nichts dabei zu finden. »Und aus dir ist ein wunderschönes Mädchen geworden«, sagte er. »Kein Wunder, dass alle Jungs in dich verliebt sind. Und in der Schule hast du lauter Einsen, wie ich höre. Ich bin wahnsinnig stolz auf dich, Alliecat.«
    Während er sprach, überlegte sie, woher er all das über sie wusste, doch als er sie bei ihrem alten Kosenamen nannte, waren diese Gedanken wie weggewischt.
    »Ach Chris, ich vermiss dich so«, sagte sie noch einmal und streckte ihm die leeren Hände entgegen. »Warum bist du fortgegangen?«
    Sein Lächeln verschwand. »Das weißt du inzwischen doch, oder?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab nicht die leiseste Ahnung. Also, ich weiß natürlich, dass Lucinda Meldrum unsere Großmutter ist und dass Mum hier zur Schule gegangen ist und uns nichts davon erzählt hat, aber das ist …«
    »Du weißt also, dass sie uns ein Leben lang belogen hat.« Der Christopher, den sie kannte, war wieder verschwunden. An seine Stelle war ein Mann voller Groll getreten, der sie über das Wasser hinweg zornig anstarrte. »Und dass sie und Isabelle sich zusammengetan haben, damit wir über unsere Herkunft im Dunklen bleiben. Und dass unsere Großmutter …« – er spuckte das Wort voller Verachtung aus – »uns jetzt unser Familienerbe vorenthält. Das weißt du doch, oder?«
    »Moment mal, Christopher. Warte, warte, warte …« Allie versuchte, diesem Giftschwall etwas entgegenzuhalten. »Ich glaube nicht … Inwiefern enthält Lucinda uns unser Erbe vor?«
    »Sie weigert sich, uns als Teil ihrer Familie anzuerkennen, Allie«, sagte er. »Wieso weißt du das nicht? Und alles nur wegen Isabelle. Weißt du, Allie«, er trat näher ans Ufer heran, und der Mondschein tauchte sein Gesicht in ein geisterhaft fahles Licht, »Isabelle verfolgt einen Plan. Das musste ich dir sagen. Sie hat Lucinda bequatscht und genießt jetzt ihr Wohlwollen –

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