Nightschool. Du darfst keinem trauen
glücklich machen. Damit mein Hirn auf bessere Gedanken kommt. Und was würde dich glücklich machen, Allie?«
Sie dachte angestrengt nach. Wenn Christopher am Leben wäre und normal. Teil einer normalen Familie zu sein. Hier zu sein, ohne die Ereignisse von gestern Abend.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie.
Carter schwieg eine Weile. Er legte sich ihre Hand auf seine Brust. Als er wieder zu reden begann, konnte sie das Vibrieren seiner Stimme durch ihre Fingerspitzen spüren.
»Stell dir vor, wir wären irgendwo anders. Irgendwo, wo es so richtig schön ist. An einem Strand vielleicht, mit weißem Sand und blauem Meer.«
Sie versuchte, sich vorzustellen, wie sie mit Carter im Schatten einer Palme saß und der Sand zwischen ihren Zehen rieselte.
»Hier bist du sicher«, sagte er mit leiser, ruhiger Stimme. »Vielleicht gehen wir später noch schnorcheln und schauen den Fischen beim Schwimmen zu. Leuchtend bunten Fischen. Kannst du sie sehen?«
Sie konzentrierte sich auf seine Worte und bildete sich ein, tatsächlich sehen zu können, wie die Fische im blauen Wasser an ihr vorbeiflitzten. Sie begann, das rhythmische Donnern der Wellen zu hören. Seine Stimme hatte etwas sehr Beruhigendes, und endlich ließ die Spannung in ihrem Nacken nach, während hell leuchtende Schwärme kleiner blauer, roter und gelber Fische durch ihre Phantasie jagten. Allies Atem wurde ruhiger. Sie fühlte, wie sie ins warme Wasser eintauchte – langsam und genüsslich.
»Das ist schön«, sagte sie mit schläfriger Stimme.
»Ja, das ist es«, sagte er – und hielt immer noch ihre Hand.
In Gedanken tauchte sie wieder auf und sah ein Schiff am Horizont. Während die Segel entrollt wurden, schlief sie ein.
Siebzehn
Als Allie aufwachte, war sie allein. Sie hatte aber das keineswegs unangenehme Gefühl, dass Carter die meiste Zeit bei ihr gewesen war. Sie war mehrmals halb aufgewacht, weil sie schlecht geträumt hatte, und bildete sich ein, in ihrer erschöpften Benommenheit gehört zu haben, wie Carter »Alles gut. Schlaf jetzt« geflüstert hatte.
Sie richtete sich im Bett auf und schaute auf den Wecker. Kurz vor sieben.
Morgens? Oder abends?
Ein Blick aus dem Fenster zeigte einen Sommerabend. Sie hatte den ganzen Tag geschlafen.
Sie streckte die müden Muskeln. Ihr Magen knurrte so laut, dass sie zuerst gar nicht wusste, was sie da hörte.
»Hunger«, verkündete sie in den leeren Raum hinein.
Sie sprang aus dem Bett und ging schnurstracks zur Tür, bremste aber in letzter Sekunde ab, als sie sich im Wandspiegel sah. Ihre Haare standen ab, das Gesicht war rußverschmiert, und sie hatte immer noch dieselben Klamotten an, die sie irgendwann letzte Nacht angezogen hatte und die nun heillos zerknittert waren.
Sie schnitt ihrem Spiegel-Ich eine Grimasse. Oh, nee. Nicht mal ich kann in diesem Aufzug rausgehen.
Dann schnappte sie sich eine Haarbürste vom Schreibtisch und strich damit kräftig durch ihre verfilzten Haare. Sie wollte sich rasch umziehen, blieb aber mit den Schuhen, die sie dummerweise zuerst angezogen hatte, am Rock hängen und musste fluchend auf einem Bein auf und ab hüpfen, bis sie sich wieder entheddert hatte.
Sie blieb kurz vor dem Spiegel stehen, um sich den Ruß aus dem Gesicht zu wischen, dann stürzte sie, immer noch an ihrem Taillenband nestelnd, aus dem Zimmer, den leeren Gang entlang. Am Treppenabsatz blieb sie stehen.
Es war still. Unnatürlich still.
Ein furchtbarer Gedanke schoss Allie durch den Kopf: Was ist, wenn alle abgehauen sind, während ich geschlafen habe – und mich einfach vergessen haben?
Obwohl sie wusste, dass es absurd war, wurde sie von einem Gefühl der Angst befallen, während sie hastig die Treppen hinunterlief und nur das Getrappel ihrer Gummisohlen hörte. Im Erdgeschoss verlangsamte sie ihren Schritt: Grüppchenweise strebten die Schüler in den Speisesaal. Sie kam sich albern vor.
Natürlich waren sie nicht abgehauen. Es herrschte nur eine eigenartige Stille.
Du drehst langsam durch , schalt sie sich. Dann holte sie einmal tief Luft, um sich zu beruhigen, und schloss sich dem Pulk an.
Der Essensduft vermischte sich auf unangenehme Weise mit dem beißenden Geruch von verbranntem Holz und Putz. Auf der Suche nach bekannten Gesichtern schaute Allie sich um und bemerkte, dass einige ihrer Mitschüler Verbände trugen. Einer humpelte sogar auf Krücken.
Das nächtliche Chaos im Speisesaal war inzwischen beseitigt worden, doch die Tische waren nicht wie sonst fürs
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