Jerry Cotton - 0596 - Ein Koeder fuer den Killer
Die Puppe, mit der ich die Nacht im Motel verbringen sollte, erwartete mich vor dem Haus Vestry Street 92. Sie trug eine Sonnenbrille und einen modisch geschnittenen Trenchcoat, dessen Kragen hochgestellt war. Unter ihrem linken Arm klemmte das vereinbarte Erkennungszeichen, die letzte Ausgabe des Esquire-Magazins.
»Hallo, Lorraine«, sagte ich zu ihr. Sie warf ihre Arme um meinen Hals und küßte mich auf offener Straße. Wir hatten uns nie vorher gesehen.
Der Sheriff hatte uns erklärt, daß sie blond und von durchschnittlichem Äußeren sei, aber er hatte vergessen, ihre hochbeinige, stromlinienförmige Figur zu erwähnen. »Wo steht dein Wagen, Honey?« fragte sie und hakte sich bei mir ein. Ich spürte den sanften, anschmiegsamen Druck ihres Körpers an meiner Hüfte und bedauerte plötzlich, daß dies nur ein abgekartetes Spiel war, ein Köder für den Killer.
»Gleich um die Ecke«, erwiderte ich. Das Girl spielte seine Rolle großartig. Als wir die Straße hinabschritten, legte Lorraine ihren Kopf auf meine Schulter. Wer uns sah, mußte uns für sehr verliebt halten.
»Hattest du einen harten Tag, Liebling?« fragte mich das Mädchen.
»Knallhart«, erwiderte ich, »aber das ist jetzt vergessen.«
Ich legte meinen Arm um ihre Schulter. Der Trenchcoat war .feucht. Es nieselte schon seit Stunden.
»Wo essen wir?« fragte mich das Mädchen.
»Im Kings Men Inn, drüben in Jersey«, schlug ich vor. »Einverstanden?« Das Girl schielte von unten her über den Rand der Sonnenbrille hinweg in mein Gesicht. Ihre graugrünen langbewimperten Augen wirkten kühl und intelligent, aber ich spürte, daß es nicht allzu schwer sein konnte, darin eine wilde Leidenschaft zu entfachen.
Reiß dich zusammen, Jerry, wies ich mich zurecht. Du bist im Dienst. Liebe steht nicht auf dem Programm. Nur ein paar Küsse, um den Mann zu bluffen, der die Gegend terrorisiert. Alles in allem war es kein unangenehmer Auftrag, auch wenn keineswegs sicher war, ob wir damit zum Ziel kommen würden.
Wir erreichten den Wagen, den ich mir für diesen Zweck geliehen hatte, einen 67er Cadillac mit New Yorker Nummer. Mein Chef, Mr. High, hatte vorgeschlagen, das Fahrzeug mit einer Sprechfunkanlage auszurüsten, aber wir hatten schließlich darauf verzichtet. Der Wagen war von untergeordneter Bedeutung. Wenn wirklich etwas geschehen würde, dann im Motel.
Als wir losfuhren, steckte sich das Mädchen eine Zigarette an. »Hoffentlich geht alles gut«, meinte sie.
»Ist Ihnen jemand gefolgt?« fragte ich.
»Wir sollten uns weiterhin duzen«, schlug sie vor. »Es ist besser so. Eine Art Training.«
»Im Moment kann uns niemand belauschen.«
»Aber beobachten«, wandte sie ein. »Wer sich duzt, gibt sich entspannter, familiärer. Vergessen Sie bitte nicht, daß wir ein Liebespaar sind.«
Ich unterdrückte ein Lächeln. Das Girl redete fast so, als sei es für den Erfolg der Aktion allein verantwortlich.
»Okay, fahren wir fort, uns zu duzen«, sagte ich. »Wo ist dein Gepäck?«
»Ich brauche keins«, meinte das Girl und öffnete ihren Trenchcoat. Ein rascher Seitenblick überzeugte mich davon, daß ich mich in den Qualitäten ihrer Figur nicht getäuscht hatte.
»Ausgemacht waren ein Pyjama und eine Zahnbürste, plus ein Rasierapparat für mich«, stellte ich fest. »So wurde es uns von dem Sheriff erklärt.«
»Was ich brauche, kriege ich in dem Motel«, meinte das Mädchen.
Sie hatte eine angenehm samtige Stimme und hieß Lorraine Dupont. Sie roch nach einem französischen Parfüm, das ich kannte. Ich wußte, daß es sehr teuer war, aber die Marke fiel mir im Moment nicht ein.
»Erkläre mir bitte nochmals, weshalb du glaubst, daß der Liebespaarmörder hinter dir her ist«, sagte ich.
»Das habe ich doch schon dem Sheriff auseinandergesetzt«, meinte sie. »Übrigens habe ich keine Ahnung, wie du heißt. Wie soll ich dich nennen?«
»Jerry«, sagte ich.
»Okay, Jerry. Du wirst zugeben müssen, daß ich den bisherigen Opfern des Liebespaarmörders sehr ähnle. Ich habe ihr Alter, die Größe und das Aussehen, sogar den gesellschaftlichen Hintergrund.«
Was Lorraine Dupont sagte, stimmte. Dem Sheriff zufolge war ihr Vater zwar kein Millionär, aber er galt als wohlhabender Geschäftsmann, genau wie die Väter der Mädchen, die der Liebespaarmörder im letzten Jahr getötet hatte.
»Vor vierzehn Tagen war ich mit Henry Wharton unterwegs«, fuhr Lorraine Dupont fort. »Henry ist mein Exverlobter. Wir treffen uns ab und zu, um alte
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