Nightshifted
mein
Gesichtsfeld.
»Rechts von dir, Ti! Ganz hinten in der Ecke!« Ich
hatte keine Ahnung, wie der Raum aussah, in dem er sich befand, doch der zweite
Lichtfleck zögerte, und wieder gab Ti einen Schuss ab. Der andere glühende
Umriss taumelte und fiel dann hin.
Am liebsten wäre ich um den Tisch herumgekrochen,
hinter dem ich mich versteckte. Er bestand nur aus Pressspan und bot deshalb
quasi keinen Schutz. Aber die Wände waren sogar noch billiger konstruierte
Trockenbaumodelle und wären wohl kaum besser. »Ti?« Wenn er konnte, würde er
antworten. Ãber die Gründe, warum er es eventuell nicht konnte, wollte ich
lieber nicht nachdenken.
Hektisch tastete ich meine Manteltaschen ab und fand
mein Handy. Ich rief die Anruferliste auf und wählte Sikes Nummer. Es klingelte
zwei-, dreimal â vielleicht hatte ich es auch schon geschafft, dass sie einfach
nicht mehr reagierte, wenn ich anrief â, dann ging sie ran, und ich lieà ihr
keine Chance, auch nur hallo zu sagen. »Erinnern Sie sich, dass Sie sagten, ich
solle Sie anrufen, wenn ich Sie brauche? Ich brauche Sie!«, schrie ich, um die
Schüsse aus dem Nebenraum zu übertönen.
»Wo sind Sie?«
»Raus hier, Mädchen!«
Ohne GroÃvaters immer lauter werdende Befehle zu
beachten, gab ich ihr die Adresse, dann legte sie auf. Wie weit war sie
entfernt? Würde sie wirklich kommen? Ich verstärkte mein Schreibtisch-Fort,
indem ich den Stuhl und GroÃvaters CD -Player zwischen die Pressspanplatte und mich schob,
dann überprüfte ich, ob ich immer noch erkennen konnte, was nebenan passierte.
Ein Schwarm von kompakten Lichtwolken, die sich alle
auf den helleren Fleck in meiner Nähe zubewegten. Wie viel Munition hatte Ti?
Kurz überlegte ich, ob ich rauslaufen und Nachschub holen sollte â aber wie
sollte ich sie ihm geben? In dem kleinen Raum hallten Schüsse und hinterlieÃen
Löcher in den Wänden. Bei Gott, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis eine
der Kugeln mich treffen und von meinem Elend erlösen würde. Ich rollte mich zu
einer kleinen Kugel zusammen, denn nun konnte ich auch nicht mehr erkennen,
welches Glühen von Ti stammte und welches von den Leuten, die sich ihm
näherten, denn der Raum hinter ihm wurde zu einem immer gröÃer werdenden,
glühenden Strudel.
Dann explodierte die Tür hinter mir, und zwar im
wahrsten Sinne des Wortes. Glasscherben flogen herum und prallten gegen den
Tisch, hinter dem ich hockte.
»Edie?«, fragte eine laute Stimme, die ich sofort
erkannte. Es war Sike, und sie klang genervt.
»Hilf Ti! Bitte!« Ich stand nur so weit auf, dass ich
sehen konnte, wie sie in den angrenzenden Raum lief. Ihre roten Haare wogten
wie Blut, das aus einer Vene spritzt.
Mit meiner anderen Sicht konnte ich erkennen, wie die
fremden Lichtflecke sich zurückzogen. Ich hörte Kampflärm, aber Sikes Glühen
sah genauso aus wie das der anderen, und während der Kampf andauerte, konnte
ich nicht sagen, wer gerade die Oberhand hatte. Einer bewegte sich unglaublich
schnell â ich vermutete, dass sie das war â, und ich hörte immer wieder das
dumpfe Knallen von Schlägen. Ich stellte mir vor, wie die Körper der
Tageslichtagenten gegen Wände und Tische und auf den Boden knallten. Das
Knirschen von Knochen, ein endloser Wirbelwind aus brutaler Gewalt, aber keine
Schüsse mehr. Ich kroch vorwärts und schob GroÃvater vor mir her.
Plötzlich stiegen mir zwei Gerüche in die Nase, die
ich erkannte: Vampirstaub und Verwesung.
Ich steigerte mein Kriechtempo und stopfte GroÃvater
unter meinen Mantel. Ti saà ein paar Meter weiter zusammengesunken in einer
Ecke, sein linker Arm fehlte. Ich konnte genau den zerfetzten Stumpf erkennen,
wo früher ein Arm gewesen war, der weiÃe Knochen ragte zwischen rosa
Fleischbrocken hervor. Sein Gesicht lag im Schatten.
»O nein«, keuchte ich und kroch weiter auf ihn zu.
Als ich kurz über die Schulter schaute, sah ich Sike, die gerade mit den
letzten Vampiren den Fabrikboden wischte. Wortwörtlich. Einen wirbelte sie so
heftig herum, dass sein schwarzer Mantel flatterte, bevor sein Schädel an einem
Fahrzeugrahmen aufplatzte, der von einem Schraubstock gehalten wurde. Sobald
der Knochen aufbrach, rieselte Staub heraus wie Bonbons aus einer Piñata.
»Ti?« Sobald ich nah genug an ihm dran war, streckte
ich die Hand aus. »Ti, geht es dir
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