Nightshifted
Kopf zur Seite und signalisierte mir mit
der Waffe, dass ich mich hinter ihn stellen sollte.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.« Dann drehte ich mich
um und ging weiter. Wenn dort etwas Schreckliches lauerte, konnte Sike mich
beschützen. Und wenn hier noch ein Vampir oder Tageslichtagent am Leben war,
wollte ich Antworten.
Und vielleicht war es auch wie eine Flucht vor ihm.
Mit einer Hand schob ich die Tür zu dem Büro auf.
»Ich bringe dir das Geschenk des Throns der Rose.
Nimmst du es an?«
Ich blieb mitten im Türrahmen stehen. Sike sprach mit
jemandem, den ich nicht sehen konnte, da er von ihr und ihrem weiten Mantel
völlig verdeckt wurde. Doch dann kniete sie nieder, und hinter Sikes Schulter
stieg wie ein zweiter Mond ein Gesicht auf, das ich trotz des strahlenden
Lichts, das meine seltsame Wahrnehmung hinzufügte, erkannte.
Mir blieb nur eine Sekunde, um »Anna« zu flüstern,
bevor sie die Lippen zurückzog, als würde sie einen ReiÃverschluss öffnen.
Scharf gezackte Zähne brachen hervor und sie versenkte sie in Sikes
bereitwillig dargebotenem Nacken. Sike brach mit einem keuchenden Stöhnen
zusammen.
Gleichzeitig stieà Ti einen erstickten Laut aus â
einen zischenden Luftstrom, der gepresst über seine Zunge glitt. Er hob die
Waffe, doch ich stieà seinen Arm nach oben und der Schuss ging daneben. Die
Kugel flog durch ein mit Papier verdunkeltes Fenster, sprengte die Scheibe und
hinterlieà ein kleines Loch in der Verkleidung, durch die Sonnenlicht eindrang.
»Das ist Anna! Das Mädchen, nach dem ich gesucht
habe!«, erklärte ich ihm. Als das natürliche Licht in den Raum fiel, gab Anna
Sikes Hals frei und wich hastig zurück.
»Anna«, sprach ich sie an, obwohl das Mädchen jetzt
ganz Vampir war. Ich erinnerte mich daran, wie es sich angefühlt hatte, als
diese Zähne zugeschnappt hatten. Die Angst davor lieà meine linke Hand
schmerzen. Sike streckte einen Arm hinter sich, allerdings nicht in einem
gequälten Krampf, sondern in einer gezielten Geste, die uns davon abhalten
sollte, näher zu kommen â und der ich nur zu gern gehorchte. Anna schlich sich
wieder an und machte sich daran, zu beenden, was sie angefangen hatte.
Ich dachte, die Sache mit Ti hätte meinen Magen
bereits an seine Grenzen getrieben, aber der Anblick der sich nährenden Anna
brachte meine Ãbelkeit auf eine ganz neue Stufe. Aus Sikes Hals floss mehr Blut
als Anna aufnehmen konnte. Ich konnte sehen, wie die dunkle Wolle ihres Mantels
durch den Fleck noch dunkler wurde, und im gesamten Büro breitete sich ein
unverkennbarer Geruch aus.
Instinktiv wollte ich Sike retten, aber ich hatte
keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Sie war hier, und sie hatte selbst
entschieden, das hier zu tun, was auch immer es war â anscheinend hatten wir,
als wir reingekommen waren, Teile eines Rituals mitgehört. Sie war
Tageslichtagentin. Das hier war ⦠ihr Job.
Aber es war einfach so viel Blut.
Normalerweise hätte ich mich an Tis Brust gedrückt,
um mich davor zu verstecken, aber ihn jetzt anzusehen, würde alles vielleicht
nur noch schlimmer machen.
Endlich war Anna fertig. Ihre Zähne zogen sich
zurück, und sie wurde wieder zu dem Mädchen, das ich kannte. Dann fuhr sie sich
mit der Zunge über die Lippen, um auch die letzten Tropfen abzulecken.
»Geht es euch gut?«, fragte ich beide von meinem Platz
am anderen Ende des Raums aus. Sike verharrte einen Moment lang auf allen
vieren, und es war seltsam, ein Wesen, das gerade noch so mächtig gewesen war,
derart kraftlos und geschwächt zu sehen. So wie der alte Tiger im Zoo, mit dem
man auch Mitleid hat, obwohl man genau weiÃ, dass er einem immer noch die Hand
abbeiÃen kann.
»Das wird schon wieder.« Mit einer flieÃenden
Bewegung stand Sike auf und zog sich die Kapuze ihres Mantels über, damit ich
die Spuren, die Anna an ihrem Hals hinterlassen hatte, nicht sehen konnte.
»Und ⦠Anna?«
»So sieht man sich wieder, Mensch«, erwiderte Anna
selbstzufrieden.
»Kennt ihr zwei euch?«, fragte ich sie und zeigte
abwechselnd auf sie und Sike.
»Ja und nein. Vielleicht sollten wir das im Auto
besprechen.« Sike schob sich an mir vorbei und ging Richtung Tür. Anna beugte
sich lächelnd zu einem der Asche- und Kleiderhaufen auf dem Boden und zog ein
Feuerzeug aus den Ãberresten hervor. Sie machte es ein paarmal
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