Nightshifted
gut?«
Er wandte das Gesicht noch weiter von mir ab.
»Hör auf damit und lass mich es ansehen.«
Ti stieà mich mit seiner verbliebenen Hand von sich.
Und dann beugte er sich langsam vor, sodass Licht auf sein Gesicht fiel.
In meinem alten Job hatte ich ein paar Schichten auf
der Verbrennungsstation abgeleistet. Dort hatte ich nur leicht verletzte
Patienten betreut, da man mir ohne die notwendige Spezialausbildung nicht mehr
anvertrauen konnte. Aber das bedeutete ja nicht, dass man nicht irgendwann am
Zimmer eines Verbrennungsopfers vorbeikam und hineinsah â oder der weinenden
Familie eines solchen Patienten am Schwesternzimmer begegnete. Dort hatte ich,
egal wie schlimm es kam, immer eine ausdruckslose Miene beibehalten. Trotz
Haut, die in dicken Schorffetzen vom Körper fiel, trotz verbrannter Kleidung
und verbrannter Haare, trotz Menschen, die wie eine Mischung aus Obdachlosen
und gebratenem Speck rochen. Jetzt versuchte ich, mich wieder genauso zu
verhalten.
Ich schaffte es nicht.
Sein Gesicht war zerstört. Ich wusste, dass es wieder
nachwachsen würde, aber dieses Wissen half mir jetzt nicht â bei seinem Anblick
wich ich entsetzt zurück: Sein halbes Gesicht fehlte, der rötlich-weiÃe Knochen
lag frei, und irgendetwas hatte ein Loch in seine Wange gerissen und war auf
der anderen Seite wieder ausgetreten. Jetzt wusste ich, warum er mir nicht hatte
antworten können â weil er keine Lippen mehr hatte, um Worte zu formen.
Ich stützte mich mit beiden Händen auf dem kalten
Boden ab und versuchte Luft zu holen und die Galle und das Entsetzen
runterzuschlucken.
»Der GroÃteil von ihm ist intakt«, meinte Sike. Sie
war von einer regelrechten Staubwolke umgeben, so als wäre sie gerade aus einer
Kanone geschossen worden. »Es ist ja nicht so, als könnte er verbluten.«
»Das weià ich«, murmelte ich. Aber noch vor wenigen
Stunden hatte ich diese Lippen geküsst, war von diesen Lippen geküsst worden
und noch einiges mehr. Und jetzt? Ich begann zu weinen, woraufhin Ti Anstalten
machte, zu mir zu kommen, dann aber zögerte. »Schon okay. Es wird schon wieder
werden«, versicherte ich ihm genauso wie mir selbst. Dann schloss ich die Augen
und lehnte mich gegen seinen wartenden, heilen Arm. »Alles wird gut.«
Er drückte mich mit seiner überwältigenden Kraft an
sich, doch dann schien ihm wieder einzufallen, dass ich nicht ganz so hart im
Nehmen war. Ich hielt den Kopf gesenkt und schmiegte ihn an seine Brust,
ignorierte die nassen Flecken, die ich dort spürte, und zwang mich, stark zu
bleiben.
»Komm schon.« Sike streckte mir eine Hand entgegen,
aber ich zog mich aus eigener Kraft hoch. Als ich aufrecht stand und Ti sich
hinter mir hochstemmte, kam Sikes wilde Seite wieder hervor â das WeiÃe in
ihren Augen breitete sich aus. Dann stürmte sie davon und ihre dünnen Absätze
klapperten über den Betonboden.
»Sollen wir ihr jetzt folgen, oder wie?«, fragte ich.
Ti zuckte nur mit den Schultern und reichte mir seine Waffe. Dann löste er ein
Ersatzmagazin von seinem Gürtel und gab mir das ebenfalls. Ich schob es für ihn
in die Waffe und gab ihm dann die Pistole zurück.
Kapitel 44
Â
Wir durchquerten das
Fabrikgebäude, das eine Autowerkstatt zu beherbergen schien. Staubwolken
tanzten in der Luft und lieÃen sich auf alten Ãllachen nieder, wo sie wie
Katzenstreu die Flüssigkeit in sich aufnahmen, oder sie bedeckten die halb
reparierten Fahrzeuge. Wie war Sike in so kurzer Zeit nur so mächtig geworden?
Sobald ich nicht mehr solche Angst vor ihr hätte, würde ich sie das mal fragen.
Sie war in einen kurzen Korridor abgebogen und
bewegte sich auf ein Büro zu â ich konnte an der Pfütze auf dem Boden erkennen,
wo früher der Wasserspender gestanden hatte, der bei dem Gewaltausbruch
umgestoÃen worden war.
»Warte.« Mit einer Hand zog ich an Tis T -Shirt, mit der anderen
hielt ich mir ein Auge zu. Dann suchte ich die Werkstatt und das Büro hinter
den schäbigen Zwischenwänden ab â und entdeckte hinter der Tür zum Büro zwei
gelbe Flecken. Einer war ungefähr zwanzigmal heller als der andere, er strahlte
grell wie Feuer.
»Sie ist nicht allein.«
Ti schaute auf mich herunter, und seine goldenen
Augen waren unverändert â wenn ich doch einfach nur sie sehen könnte und sonst
nichts. Er deutete ruckartig mit dem
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