Nightshifted
roch. »Ich glaube nicht, dass es ein Befehlszwang war. Wenn
ich in der Zeit zurückreisen könnte, würde ich es wahrscheinlich wieder genauso
machen«, sagte ich mehr zu mir als zu ihm. »Also, den Teil, bei dem ich das
Mädchen rette, nicht den, bei dem ich ihn aus Versehen töte«, schränkte ich
ein.
Meaty wippte nach vorne, um sich aus dem Stuhl zu
wuchten. Meine Audienz war beendet. »Befehlszwang oder Schuldgefühle, such dir
dein Gift aus.« Meaty zuckte mit den Schultern. »Du machst dich als Schwester
wesentlich besser statt als Patient. Du bist entlassen, geh nach Hause.«
Â
Ich hatte kaum meine
Beine aus dem Bett geschoben, als Gina schon mit einem Beutel für
Patienteneigentum erschien. Sie wanderte durch das Zimmer und suchte meine
Sachen zusammen.
Ich zog mir Jeans und Stiefel an, doch statt meinen
Pulli überzuziehen, schlang ich mir ein zweites Krankenhaushemd über den Rücken
und zog meinen blutbefleckten Mantel drüber. Mir war klar, wie bescheuert das
aussehen musste, aber Gina war so nett, nichts zu sagen. Mit dem blutigen Pulli
in meiner Tasche und meiner Frisur, die aussah wie nach einer Woche Bettruhe,
musste ich ungefähr so aussehen wie ein Patient, der um diese Uhrzeit aus der
ambulanten Psychiatrie entlassen wird. Trotzdem verlieà ich mein Zimmer und
versuchte, mit etwas Würde zum Stationsausgang zu gehen.
»Hey, Neuling!«, rief Charles, als meine Finger schon
auf dem Knopf für die Türautomatik lagen.
Ich drehte mich um. »Mein Name ist Edie«, verkündete
ich langsam.
Er grinste. »Ich weiÃ. Willkommen auf Y4 .«
Kapitel 8
Â
Ich versuchte zweimal,
Jake von dem Münztelefon in der Lobby aus anzurufen. Während meines
Aufenthaltes war ein fast nadelloser Weihnachtsbaum aufgestellt worden. Es war
kein echter, aber irgendjemand hatte ein Kiefernnadelduftbäumchen zwischen den
Christbaumschmuck von 1973 gehängt. SchlieÃlich gingen mir die Münzen aus, und
mein Handy hatte keinen Saft mehr, aber zum Glück bekam man zu den
Entlassungspapieren ein kostenloses Busticket. Also fuhr ich mit dem Bus nach
Hause, wobei mir die starren Blicke der anderen Fahrgäste nicht entgingen. Von
der Haltestelle aus ging ich zu Fuà bis zu dem Haus, in dem ich wohnte; ich war
froh, dass ich keinen Krankentransport gebraucht hatte. Ich klopfte an meine
eigene Tür, bevor ich sie aufschloss.
»Jake?«
Ich sah mich in dem kurzen Flur um. Es roch nach
Rauch â kein Zigarettenrauch, sondern etwas Bitteres, Muffiges.
»Minnie?«
Unter der Couch drang ein flehendes Maunzen hervor.
Die Couch, die ich erstaunlich gut sehen konnte, wie mir jetzt auffiel, denn
aus irgendeinem Grund waren mein Esstisch und die Stühle verschwunden. Ich
starrte fassungslos auf die Mulden, die die Tischbeine in dem dünnen Teppich
hinterlassen hatten.
»Jake? Jake!«
»Moment noch!« Hinter der geschlossenen
Schlafzimmertür stampfte jemand auf den Boden. Vorsichtig schob Jake den Kopf
durch die Tür, so als würde er damit rechnen, dass es irgendjemand anderes war,
dem ich einen Schlüssel gegeben hatte. Als er mich sah, grinste er. »Edie!«
»Wer sollte es denn sonst sein?«
»Es geht dir gut! Ich habe mir Sorgen gemacht!«
Sich Sorgen zu machen war offensichtlich nicht zwangsläufig
damit verbunden, mal anzurufen â auf meinem Handy war keine einzige Nachricht
eingegangen, bevor der Akku den Geist aufgegeben hatte. Und auch nicht damit,
ans Telefon zu gehen, als ich vorhin angerufen hatte.
Mein Bruder schloss mich in die Arme. Er roch nach
kaltem SchweiÃ, und seine Siebentagestoppeln kratzten über meine Wange, aber
diese Umarmung erinnerte mich an den alten Jake, den ich schon eine ganze Weile
nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte.
Als er sich von mir löste, umschloss ich mit der
linken Hand sein Kinn. »Wie geht es dir?«, fragte ich ihn, während ich ihm tief
in die Augen sah, um seine Pupillenreaktion zu beobachten.
»Mir gehtâs â hör auf damit, Edie.«
»Ich habe mich nur gefragt â¦Â«
»Ich bin nicht high. Versprochen. Und das liegt bestimmt
nicht daran, dass ich es nicht versucht hätte.«
»Ãh, ja?« Ich lieà meine Tasche fallen und setzte
mich auf die Couch. »Wo ist mein Tisch?«
»Ich habe ein Experiment durchgeführt.«
»Welcher Art?«
Jake fing an, in meinem engen Wohnzimmer auf
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