Nightshifted
â es war auch so
schon demütigend genug gewesen, mich auf Y4 von dieser Geschichte erholen zu müssen, da wären
Waschungen durch Kollegen absolut unerträglich gewesen. Wo waren eigentlich die
ganzen leicht einzuschüchternden Schwesternschülerinnen, wenn man sie mal brauchte?
Danach bezog ich mein Bett neu und kroch hinein. Eine
Dusche, frische Laken und ein Bett ohne Haltegriffe? Der reinste Luxus. Ich
schlief ein, bevor ich den Gedanken zu Ende gebracht hatte.
Als ich aufwachte, war es dunkel. Kurz vor neun Uhr
abends, auch wenn der Winter drauÃen mit den frühen Sonnenuntergängen und den
ewigen Wolken dafür sorgte, dass es einem später vorkam. Ich konnte mich noch
gut an den fast vollen Mond über der Notaufnahme erinnern â vielleicht bekam
ich ihn jetzt bis April oder Mai nicht mehr zu sehen. Ich kuschelte mich in dem
dunklen Zimmer ins Bett, zog die Decke über die Schultern und versuchte, an gar
nichts zu denken.
Das war schwierig. Zum ersten Mal seit langer Zeit
fühlte ich mich richtig ausgeruht. Im Krankenhaus hatte ich den Schlafrhythmus
der Nachtschichten beibehalten, da mir die Gesellschaft meiner vertrauten
Kollegen lieber war als die anderer Schichten. Es war leichter gewesen sich
abzulenken, wenn man jemanden hatte, mit dem man reden konnte, oder einen
laufenden Fernseher, dazu die beruhigende Taubheit, die alle paar Stunden dank
der Mischung aus Oxycodon und Paracetamol in mich hineinfloss.
Hier zuhause, ohne Drogen oder Ablenkung, war es
schwierig, nicht daran zu denken, dass ich mindestens drei dämliche und potenziell
grauenhafte Dinge getan hatte: Ich hatte aus Versehen einen Patienten getötet,
ich hatte absichtlich einen Vampir getötet, und eventuell hatte ich ein Monster
auf die Welt losgelassen. Minnie kam aus irgendeinem Versteck hervor und
drückte ihren Kopf in meine ausgestreckte Hand.
»Ich bin froh, dass er mir wenigstens in dem Punkt
zugehört hat, Minnie.« Ich rieb mit den Knöcheln über die Stelle zwischen ihren
Ohren. Heute Nacht würde ich mit Sicherheit keinen Schlaf mehr finden.
Ich streichelte Minnie, bis sie es nicht mehr
aushielt und sich aus meinem Griff wand. Dann setzte ich mich im Bett auf und
starrte in meinen offenen Kleiderschrank, in dem meine Schuhe und Kleidung
durch das Licht vom Parkplatz, das durch die Jalousie drang, gut zu erkennen waren.
»Ich bin am Leben, ich bin wach und ich habe keine Rufbereitschaft«, erklärte
ich mir selbst. »Ich sollte ausgehen.«
Kapitel 9
Â
Ausgehen bedeutet für
jeden etwas anderes. Manche gehen gerne alleine ins Kino oder ins Restaurant,
andere gehen aus, um angemacht und abgeschleppt zu werden. Für mich bedeutete
es hauptsächlich tanzen, mit der Option aufs Abschleppen, falls sich eine
lohnenswerte Gelegenheit bot.
Die fünf Kilo, die ich durch die Nachtschichten
zugelegt hatte, hatten noch nicht dafür gesorgt, dass ich nicht mehr in meinen
Lieblingsrock passte. Ich zog ihn an und fand sogar ein passendes Oberteil, das
genau an den richtigen Stellen eng anlag. Meine Haare waren schulterlang, sanft
gelockt und von Natur aus braun. Meine blauen Augen ergänzten das sehr gut, und
ich hatte ein nettes Lächeln. Wenn ich ausging, wusste ich, dass ich nicht das
hübscheste Mädchen im Klub war â aber ich wusste auch, dass ich mich an Orten,
die ein bisschen dämmrig waren und vernünftige Cocktailpreise hatten, durchaus
behaupten konnte.
Allerdings trank ich nie, wenn ich ausging. Einige
Jahre mit einem alkoholkranken Vater hatten dafür gesorgt â auÃerdem war es
nicht gut, in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Trotzdem ging ich gerne in
Klubs, wo auch Alkohol ausgeschenkt wurde. Die richtigen Drinks verschafften
einem am nächsten Tag genau den glaubhaften Vorwand, alles abzustreiten, den
Frappuccinos einfach nicht liefern konnten.
Bevor ich das Haus verlieÃ, schob ich meinen Ausweis
in die Hülle meines Krankenhausausweises, löste ihn vom Schlüsselband und schob
mir das Plastikviereck in die hintere Rocktasche. Dann zog ich wegen der unzureichenden
Wärmeleistung eine Strumpfhose an, streifte einen Mantel über und schlüpfte in
flache, schneefeste Stiefel. AnschlieÃend ging ich schnellen Schrittes zur
nächsten Bahnstation und sog die Wärme des Zuges in mich auf, bis er meine
Lieblingsstation in der Innenstadt erreichte. Mein bevorzugter Klub war ein
paar Blocks von der
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