Nightshifted
Mal,
wenn ich an ihn gedacht hatte, versucht, es nicht zu tun. Ich konnte mich noch
genau an den Ausdruck in seinen Augen erinnern ⦠bevor sie sich in Staub
verwandelt hatten und aus seinem Schädel geweht worden waren. Wieder hob sich
mein Magen.
»Es tut mir leid«, platzte ich heraus.
Dren zog die Augenbrauen hoch. »Dann gestehen Sie
also Ihre Schuld ein?«
»Sie gesteht gar nichts«, erklärte Meaty und funkelte
mich durchdringend an. »Sie ist eine registrierte Nichtkombattantin.«
Das entlockte Dren ein leises Lachen. »Diesen Status
hat sie verloren, als sie einen Vampir tötete.« Fast schon geziert deutete er
mit dem Kopf in meine Richtung. »Zum groÃen Unglück von Miss Spence wird eine
simple Entschuldigung nicht ausreichen.«
Die anderen Vampire umringten uns jetzt enger, aber
ich konnte durch die Kapuze immer noch nicht die Augen dieses Wesens sehen.
Angst trieb mir Magensäure in die Kehle, und ich versuchte krampfhaft, sie
wieder runterzuschlucken.
»Ich habe ein Mädchen befreit, das gefangen gehalten
wurde«, erklärte ich und schob mich dichter an Meaty heran, um Kraft zu
schöpfen.
»Es gab kein gefangenes Mädchen«, sagte Dren.
»Doch, da â¦Â«
»Wir wissen nichts davon«, unterbrach er mich. »Und
selbst wenn es eines gab, wie können wir wissen, dass Sie es nicht auch einfach
getötet haben? Wir haben nur Ihr Wort, das momentan nicht sonderlich viel wert
ist.«
»Sie dürfen keine Krankenschwester mitnehmen«,
protestierte Meaty.
»Aber genau das tun wir gerade.« Dren strich demonstrativ
über seine Sichel. Die beiden im Hintergrund streckten die Hände aus und zogen
die Robe von ihrem Begleiter, als würden sie einen Kokon aufreiÃen.
Darunter befand sich eine Kreatur, die niemand jemals
zu sehen bekommen sollte. Sie hatte zwei Arme und zwei Beine, aber die waren
missgebildet â die Beine waren skelettartig dünn und endeten in FüÃen, an denen
Raubvogelkrallen saÃen. Beide Arme schienen völlig verschrumpelt und nach innen
gekrümmt, sodass sie vor dem Oberkörper aufeinandertrafen. Die Haut spannte
sich über einem Leib, der so aufgebläht war wie bei einem Patienten mit
Leberkrebs im Endstadium. Der Kopf des Wesens war lang wie bei einem Pony oder
einem groÃen Hund und die Nüstern am Ende der Nase blähten sich eifrig. Seine
Haut war rau und ziemlich dunkel â ich wünschte mir vergeblich, sie würde zu
einem Reptil gehören. Genauso wenig wie die Augen, die rechts und links von der
Nasenwurzel weit auseinanderstanden. Sie hatten eine helle Farbe und waren
eindeutig menschlich. Das Gesamtbild entsprach dem einer Kreatur aus einem
surrealistischen Gemälde, wie ein Werk von Bosch, das lebendig geworden war.
»Was ist das?«, fragte ich Meaty flüsternd.
»Das ist ein Spürhund, und Dren ist ein Schäler«,
erklärte Meaty ebenso leise.
Dann hätte ich gerne gefragt »Was ist ein Schäler?«,
aber die Antwort lag auf der Hand: jemand, der Dinge schälte. Wahrscheinlich
mit dieser Sichel.
Die Silberketten, die am Hals der Kreatur befestigt
waren, bereiteten ihr Schmerzen â ich konnte sehen, dass sie schon eine tiefe
Narbe in ihrem Fleisch hinterlassen hatten. Sie reckte den Kopf und schnüffelte
über Drens linke Schulter hinweg, wobei sie die Lefzen verzog und reihenweise
scharfe, gelbe Zähne entblöÃte. Die beiden vampirischen Wärter des Wesens
wünschten sich offensichtlich, dass ich flüchten würde, damit dieses monströse
Ding mich jagen könnte.
Ich schloss die Augen und drückte mich an Meatys
Schulter. Gewahrsam klang wie etwas, das
ich lieber nicht ausprobieren wollte. Vielleicht war Anna damals ja auch in
Gewahrsam genommen worden.
»Wenn Sie sie mitnehmen, wird unsere Belegschaft
nicht mehr den allgemeinen Anforderungen genügen, und das ist laut unserer
Verträge mit dem Konsortium nicht zulässig.«
Versteckt hinter Meatys Rücken blinzelte ich
überrascht.
»Dann suchen Sie sich eben eine neue Schwester«,
meinte Dren in einem Tonfall, der keine Diskussion zulieÃ.
»Wir sind hier sowieso unterbesetzt, das wissen Sie.
Und Sie gehören nicht zur einzigen übernatürlichen Gruppierung, die
rechtskräftige Verträge mit uns geschlossen hat. Nur weil die Vampire auf Edie
wütend sind, bedeutet das nicht, dass wir unseren Dienst an
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