Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
der Wanderer.
Er hob einen Colt und drückte mir die Mündung auf die Stirn.
„Letzte Chance, John.“
„Nein“, sagte ich.
Er drückte ab.
Das Klacken des Hahnes war das lauteste Geräusch, das ich je in meinem Leben gehört hatte. Doch der Colt schoss nicht. Es waren Kugeln in der Trommel, ich sah sie, aber dennoch feuerte die Pistole nicht. Der Wanderer runzelte die Stirn und drückte ein zweites Mal ab. Immer noch ließ sich das Schießeisen nicht abfeuern. Er versuchte es mit der Waffe, die gegen meine Brust gedrückt war, doch nichts geschah. Ich holte tief Luft, trat einen Schritt zurück und schlug dem Wanderer beide Pistolen aus den Händen. Dann knallte ich ihm einen Haken mitten ins Gesicht. Er schrie auf, taumelte zurück und ging zu Boden. Er berührte seinen malträtierten Mund und starrte bestürzt auf das Blut auf seinen Fingern.
„Du bist nur so lange unangreifbar, Adrien, wie du auf dem Pfad des Himmels wandelst“, sagte ich ein wenig atemlos, „und den hast du verlassen, als du einen unschuldigen Mann ermorden wolltest.“
„Unschuldig?“, sagte er. „Ausgerechnet du?“
„Ausnahmsweise ja“, entgegnete ich. „Gib auf, Adrien. Es ist aus.“
Ich bot ihm meine Hand an, und nach einem kurzen Augenblick ergriff er sie. Ich zog ihn auf die Beine und stützte ihn, bis er das Gleichgewicht wiederfand. Es war lange her, dass er das letzte Mal Schmerz und Schrecken gefühlt hatte. Er schüttelte langsam den Kopf.
„Ich habe das viel zu lange gemacht“ grübelte er. „Ich bin einfach müde. Es war einfacher zu handeln als nachzudenken. Vielleicht … braucht die Welt einen neuen Wanderer. Wenn ich mich so irren kann wie eben, bin ich nicht länger qualifiziert für diesen Job.“
„He“, munterte ich ihn auf. „Niemand hat gesagt, dass du das für immer tun musst.“
Er nickte noch einmal, und seine Augen starrten verloren in die Ferne. Dann drehte er sich um und verließ den Abenteurerclub. Niemand folgte ihm. Chandra trat an meine Seite.
„Das … sieht man nicht alle Tage, John Taylor. Haben Sie gewusst, dass er Sie nicht würde töten können?“
„Aber natürlich“, log ich.
E pilog
Einige Zeit später im Obergeschoss des Abenteurerclubs
Die Küche des Abenteurerclubs hatte in kürzester Zeit vermeintlich aus dem Nichts ein ansehnliches Buffet gezaubert, und die neuen Autoritäten schlugen beeindruckende Schneisen in die Berge aus exquisitem Essen und die Seen aus köstlichen Getränken. Sie feierten, dass sie nun doch nicht dem Tod geweiht waren. Julien Advent kämpfte sich heldenhaft durch seine zweite Flasche Rosé-Champagners und ließ die Mauern des Zimmers mit einer Darbietung eines viktorianischen Saufliedes erbeben, das „Dr. Jekylls Stellvertreter“ hieß. Ein ziemliches Lumpenlied, auch wenn die Leute zur viktorianischen Zeit ihren Schmutz eher dezent bevorzugten. Jessica Sorrow hatte für sich ein hervorragendes Dessert entdeckt, eine Schicht weiße Schokolademousse, darüber eine Schicht Milchschokolademousse auf dunklem Trüffelboden. Mit Sahne. Hie und da, wenn sie sicher war, dass niemand hersah, genehmigte sie sich einen Mund voll.
Graf Video und Annie Abattoir hatten sich wegen den gekochten Fleischköstlichkeiten gestritten, doch jetzt legten sie einen flotten Tango in der Mitte des Raumes aufs Parkett, mit allen Drehungen und all dem Schnickschnack, der dazugehörte. König Haut hatte sich einen überraschend gesunden Salat zusammengestellt, während er ein ziemliche Sauerei anrichtete, indem er an seinem Snakebite schlabberte. (Ein furchtbares Getränk aus Wodka, Cider, Preiselbeeren und anderen Dingen. Wenn man genug davon in sich hineinschüttet, kotzt man Obst und pinkelt Benzin.) Larry Oblivion musste weder etwas essen noch trinken, da er tot war. Dennoch hatte ihm der Küchenchef des Clubs eine besondere Delikatesse zubereitet, von der er Stein und Bein schwor, sie sei bei den lebenstechnisch beeinträchtigten Mitgliedern des Clubs heiß begehrt. Ich hatte keine Ahnung, worum es sich handelte, aber es roch furchtbar und bewegte sich auf dem Teller. Larry schien es zu genießen.
Auch Walker und ich waren da, höchstwahrscheinlich, weil keiner von uns beiden jemals das Angebot einer Gratismahlzeit und freier Getränke ausgeschlagen hätte. Chandra hatte sich entschuldigt. Er hatte behauptet, seine Pflicht verlange von ihm, nach Indien zurückzukehren, um herauszufinden, was er für sein zerbrochenes Schwert tun konnte. Ich glaube, er
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