Nikotin
nachdenken konnte, packte Charles Cartwright ihren Arm.
»Mein Gott, Egg, lies das. Es ist von Satterthwaite.« Er hielt ihr das Telegramm hin.
Und Egg Lytton Gore riss entsetzt die Augen auf.
25
H ercule Poirot und Mr Satterthwaite kamen g e gen Mittag im Sanatorium an. Das Mädchen, das ihnen die Tür öf f nete, sah rot und aufgeregt aus, und auf Satterthwaites Frage nach der Oberin erw i derte es unsicher: »Ich weiß nicht, ob sie die Herren heute empfangen kann.«
Hierauf schrieb Mr Satterthwaite ein paar Worte auf e i ne Visitenkarte. »Bitte, bringen Sie dies der Frau Oberin.«
Das Mädchen geleitete die beiden Besucher in ein kle i nes Wartezimmer, wo sich nach fünf Minuten die Oberin einfand – weniger ruhig und würdevoll als bei seinem ersten Besuch, fand Mr Satterthwaite.
»Ich hoffe, Sie erinnern sich meiner noch«, begann er. »Ich kam mit Sir Charles Cartwright, wenige Tage nach Sir Bartholomew Stranges Tod.«
»Ja, ich erinnere mich sehr gut. Und Sir Charles erku n digte sich nach Mrs Rushbridger.«
»Darf ich Ihnen Monsieur Hercule Poirot vorstellen.«
Die Oberin schien bei der Vorstellung ziemlich geiste s abwesend zu sein.
»Ich verstehe nicht, wie Sie ein Telegramm erhalten h a ben können. Seit ich die Zeilen auf Ihrer Visitenkarte las, grübelte ich schon darüber nach, Mr Satterthwaite. Es kann doch nicht mit der Ermordung unseres unvergessl i chen Chefs zusammenhängen, wie? Das Ganze muss das Werk eines Verrückten sein – eine andere Erklärung finde ich nicht. Mein Gott, mein Gott, mir wirbelt schon der Kopf. Die Polizei in unserem Sanatorium!«
»Die Polizei?«
»Ja, seit zehn Uhr ist sie da.«
»Die Polizei?«, wiederholte Hercule Poirot.
»Vielleicht dürfen wir Mrs Rushbridger jetzt sehen. Da sie uns doch herbat…«
Die Oberin unterbrach ihn: »Wissen Sie denn nicht, Mr Satterthwaite?«
»Was?«, fragte Hercule Poirot scharf.
»Dass Mrs Rushbridger tot ist?«
»Tot!… Da haben wir die Erklärung. Da haben wir sie. Ich hätte es voraussehen müssen…« Er ließ den Satz unvollendet und stieß eine Frage hervor: »Wie starb sie?«
»Auf eine höchst geheimnisvolle Weise. Sie erhielt mit der Post eine Schachtel Schokoladenkonfekt – Likörfü l lung, Monsieur – und kostete ein Stück. Es muss scheu ß lich geschmeckt haben, aber in ihrer Überraschung schluckte sie es wohl trotzdem rasch hinunter.«
»Ja, ja. Wenn einem plötzlich eine Flüssigkeit die Kehle hinabläuft, ist das Ausspucken schwierig.«
»Dann schrie sie auf, die Schwester kam herbeigestürzt, aber wir konnten nichts tun. Innerhalb von zwei Minuten trat der Tod ein. Der Doktor benachrichtigte unverzü g lich die Polizei, die das Konfekt untersuchte. Die ganze obere Schicht war vergiftet, die untere einwandfrei.«
»Und welches Gift wurde benutzt?«
»Nikotin, vermutet man.«
»Ja. Wieder Nikotin«, sagte Poirot nickend. »Was für ein Streich! Was für ein unglaublich verwegener Streich!«
Auf Hercule Poirots Verlangen führte man sie in das Zimmer der Toten. Hier war bereits Inspektor Crossfield tätig, den Mr Satterthwaite dem kleinen Belgier vorstellte. Dann traten die beiden an das Bett. Mrs Rushbridger war eine etwa vierzigjährige Frau, dunkelhaarig und blass. Ihr Gesicht war nicht friedlich – es zeigte noch die Spuren der schrecklichen Agonie.
»Arme Seele«, sagte Mr Satterthwaite gedrückt. »Sie wurde ermordet, damit sie uns nicht erzählen kann, was sie weiß.«
»Oder was sie nicht weiß«, ergänzte Hercule Poirot. » A ber wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssen verhi n dern, dass sich noch mehr Todesfälle ereignen.«
Mr Satterthwaite blickte ihn forschend an: »Stimmt das mit Ihrer Theorie überein?«
»Ja, ja, es stimmt. Aber es bringt mir eins zum Bewuss t sein: Der Mörder ist noch gefährlicher, als ich annahm.«
Inspektor Crossfield folgte ihnen aus dem Zimmer und erfuhr jetzt erst von dem Telegramm, das Poirot erhalten hatte. Es war auf dem Postamt von Melfort aufgegeben worden, und zwar, wie die Nachforschung ergab, durch einen kleinen Jungen. Die Beamtin versicherte, dass sie sich genau entsänne, weil der Text, der auf Sir Barthol o mews Tod Bezug nahm, sie sehr aufgeregt habe.
Nach einem gemeinsamen Lunch mit Inspektor Cros s field und nach Absendung einer telegrafischen Botschaft an Cartwright wurde die Suche fortgesetzt, und um sechs Uhr abends hatte man den Jungen aufgestöbert. Er e r zählte seine Geschichte frank und frei. Ein Mann in
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