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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky
Autoren: Torsten Schulz
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Kellner, dann eine eigene Kneipe. Mittlerweile ist er selbst sein bester Gast. Scheint die Rolle seines Lebens zu sein.«
    Ich mochte nicht, wie Carola über Nilowsky sprach. Es hörte sich zynisch an. Ich hatte keine Lust, etwas zu erwidern. »Wo ist die Kneipe?«, fragte ich nur.
    »Er hat sie eingerichtet wie das Bahndamm-Eck «, fuhr Carola fort, »mit Sprelacarttischen, original wie damals …«
    »Ja«, unterbrach ich sie, »aber wo ist denn nun die Kneipe?«
    »Nirgendwo«, rief Carola aus und lachte. »Ich wollte nur mal sehen, ob du immer noch alles glaubst, was ich dir erzähle.«
    Wieder musste ich an einer Kreuzung halten. Carola lachte immer noch. Dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: »Was soll’s. Sicherlich ist er längst tot. Oder im Knast. Oder er ist in der Psychiatrie und redet mit seinem Vater, der in seiner Imagination immer noch lebt. Egal. Wen kümmert’s. Egal wie Achtundachtzig.«
    »Ich glaube nicht, dass er tot ist oder im Knast oder in der Psychiatrie«, erwiderte ich, aggressiver als gewollt. »Warum soll es nicht möglich sein, dass er irgendwo in der Welt ist? Als Entwicklungshelfer in einem Dritte-Welt-Land, beispielsweise. Oder warum soll er nicht in den Westen geflüchtet sein, um zu studieren. Und heute arbeitet er irgendwo als Lehrer für Politik und Sozialkunde. Warum denn nicht?!«
    Ich fuhr weiter. Carola schwieg. Ich fühlte mich unbehaglich, und sie offenbar auch.
    »Entschuldige bitte«, sagte sie an der nächsten Kreuzung, »ich muss weiter.«
    Sie öffnete die Beifahrertür, stieg aus, und bevor sie loslief, winkte sie mir noch einmal zu. Ein kurzes, höfliches Winken.
    Ich fuhr weiter und stellte mir Nilowsky vor, wie er irgendwo in Afrika über Plänen für ein Chemiewerk sitzt, in dem Tabletten gegen Hunger hergestellt werden sollen. Und eines Tages sollen diese Tabletten äußerst preiswert oder sogar kostenlos verteilt werden. Ich wollte an diese Möglichkeit glauben. So sehr ich mich bemüht hatte, Nilowsky aus meiner Gedankenwelt zu verdrängen, so sehr wollte ich nun wieder an ihn und seinen Traum glauben. Und so ist es geblieben.

Informationen zum Autor
    © Marijan Murat
    Torsten Schulz geboren 1959, ist Autor preisgekrönter Spielfilme, Regisseur von Dokumentarfilmen und Professor für Dramaturgie an der Filmhochschule Babelsberg. Sein Debütroman »Boxhagener Platz« wurde in mehrere Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt. Die Hörspieladaption erhielt diverse Preise. Torsten Schulz lebt in Berlin.
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