Nimm Platz und stirb
waren naß.
Andauernd mußte ich sie mit dem Taschentuch abwischen. Ich las Namen, Daten und
Filmtitel. Die meisten Karten hatten abgegriffene, eingerissene Ränder, und
manche Namen waren kaum mehr leserlich.
Als ich aufstand, schmerzten mein
Rücken und mein Genick. Ich atmete schnell, als wäre ich gelaufen. Langsam
schloß ich die Tür.
Den Namen Lacon hatte ich nicht
gefunden.
Es war zum Verzweifeln. So klar war mir
alles. Und dieses letzte Glied der Kette fehlte und war nicht zu finden.
Ich rieb meine Hände und die Stirn ab
und steckte das Taschentuch ein. Dann ging ich hinüber zu Fräulein Schadewald.
Sie lag unverändert und genauso blaß. Würde wohl noch einige Zeit dauern, bevor
sie aufwachte.
Am Schreibtisch im Wohnzimmer nahm ich
den Hörer ab. Ich sagte einige Sätze und nannte die Adresse. Es war, als stünde
ich wieder im Atelier sechs in der Aufnahmeleitung, als Stefan gestorben war.
Sie würden bald da sein. Ich ging weg
vom Schreibtisch, lehnte mich an den Türpfosten und dachte nach, wie es gewesen
war.
Ganz einfach.
Es hatte geläutet. Der alte Mann war
aufgestanden und hatte mit freundlichem Lächeln die Haustür geöffnet. Er hatte
den Besucher begrüßt und ins Zimmer gebeten. Vielleicht hatte er noch gefragt,
ob er etwas anbieten könne, aber der Besucher hatte abgelehnt. Lobkowicz hatte
auf den Stuhl vor dem Schreibtisch gedeutet, mit einladender Handbewegung. Das
war wahrscheinlich das letzte gewesen. Dann hatte er selbst Platz genommen und
war gestorben.
*
Der Funkwagen heulte durch die stille
Gegend. Ich stieß mich vom Türpfosten ab, öffnete die Haustür und blieb auf dem
Treppenabsatz stehen. Im Haus gegenüber wurde ein Vorhang zur Seite gerissen.
Zwei weißhaarige Köpfe erschienen, soweit ich erkennen konnte, mit entsetzten
Gesichtern. Wahrscheinlich würden die Herrschaften morgen in eine andere Gegend
ziehen.
Die Polizisten kamen mit wiegenden
Schritten auf mich zu. Es war mal etwas anderes für sie, als aufgebrochene
Zigarettenautomaten zu besichtigen.
Im Wohnzimmer besahen sie sich Istvan,
den Toten. Dann fixierten sie mich mit Blicken, aus denen hervorging, daß mich
das teuer zu stehen kommen würde.
Einer telefonierte. Währenddessen
zeigte ich dem anderen das ohnmächtige Fräulein Schadewald. Ich durfte mich zu
ihr setzen. Sie erwachte in dem Augenblick, als die Leute vom Präsidium kamen.
Ich hatte erwartet, Kommissar Nogees wiederzusehen, und war froh, als er nicht
dabei war.
An seiner Stelle war ein junger Mann
gekommen. Forsch und Assessor. Der Kriminalrat stand ihm schon ins Gesicht
geschrieben. Er konnte nicht anders als messerscharf blicken.
»Haben Sie irgend etwas berührt?«
»Nein, Herr Kommissar. Nur das Telefon.
Ich weiß ja, daß man nichts anfassen darf.«
»So, das wissen Sie?«
»Jawohl, Herr Kommissar. Wir haben
viele Filme gemacht, in denen auch nichts angefaßt werden durfte, wenn jemand
tot war.«
Aus seinen Augen ging die ganze
Verachtung hervor, die er für unser Gewerbe hegte.
»Sieht ‘n bißchen anders aus hier als
im Film, wie?«
»In der Tat, Herr Inspektor«, sagte ich
schüchtern.
»Haben Sie den Mann gekannt?«
»Nein, bin heute zum erstenmal hier.
Seine Sekretärin hat mich mitgenommen.«
»Sind Sie Schauspieler?«
Ich errötete. »Nein, nein - dazu fehlt
mir jede Begabung...«
»Was sind Sie denn? Manager, wie?«
»Auch nicht. Ich mache — äh — Drehbücher...«
Seine Achtung vor mir sank wie das
Quecksilber bei minus zwanzig Grad.
»Drehbücher? Geschichten, die das Leben
schrieb? Nach den Akten der Kriminalpolizei, wie?«
»So ist es«, antwortete ich. Ich war
froh. Viel konnte mir bei dem nicht passieren.
»Ich wollte auch mal zur Polizei
gehen«, sagte ich beklommen. »Leider ist nichts daraus geworden.«
Man konnte ihm ansehen, wie gern er auf
solche Kollegen verzichtete. »Was kriegen Sie für so ein Drehbuch?«
Ich streichelte verlegen meine Haare.
»Oh — das schwankt-, meistens zuwenig.
Es wird sich mit ihrem Gehalt kaum vergleichen können...«
Für dumme Witze war er nicht zu haben.
Er kam wieder zur Sache.
»Kommen Sie mit!«
Die Polizei hatte den Toten mit einer
Decke überdeckt und trieb Spurensicherung. Währenddessen nahm der Assessor die
arme Schadewald und mich vor. Sie lag noch auf der Couch und sah
erbarmungswürdig aus. Die Brille hatte sie abgesetzt, um mit dem Taschentuch
leichter an ihre Augen zu kommen.
Stockend erzählte sie unsere Geschichte
von Anfang an. Sie
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