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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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herunter, und das Schieferdach war so sauber, als stünde es
in Holland.
    Die Nachbarhäuser waren weit entfernt.
Niemand kümmerte sich um uns, als die Sekretärin auf die Klingel drückte. Der
Summerton blieb aus.
    »Hoffentlich wird er nicht ärgerlich,
Fräulein Schadewald«, sagte ich. »Kann ja wirklich sein, daß er nicht gestört
werden will. Dann gibt’s nichts als ehrenvollen Rückzug.«
    »Ich habe ihn noch nie ärgerlich
gesehen«, antwortete sie etwas verträumt.
    Sie klingelte wieder. Es ereignete sich
noch weniger als in den letzten Filmen der Sirius. Überhaupt nichts.
    Fräulein Schadewald griff zum
Schlüssel. Die Gartentür gab den Weg frei. Wir marschierten hintereinander über
die Steinplatten und die Treppen hinauf zur Haustür.
    Diesmal konnte man die Klingel im Haus
hören. Das war auch alles.
    »Na, los«, sagte ich. »Wer einen
Schlüssel hat, begeht keinen Einbruch.«
    Ich tat ziemlich forsch, um männliches
Selbstvertrauen auf sie auszustrahlen. Unter meiner Haut war ich nicht so
kräftig.
    Sie probierte zaghaft mit dem
Schlüssel. Das Schloß war nur eingeschnappt. Ich sah eine freundliche Diele mit
einem Mantel, zwei Hüten und einem Schirm im Ständer. Eine Treppe aus hellem
Holz führte nach oben. Drei Türen gingen ab. Die Sonne fiel durch die
Bleiglasscheiben. Alles war heiter, wie das Herz eines jungen Mädchens.
    Die Sekretärin rief. Der Name Lobkowicz
flatterte durch die Luft und verschwand. Niemand antwortete.
    »Wo ist das Wohnzimmer?« fragte ich.
    Sie deutete auf die mittlere Tür.
    »Dort.«
    »Legen wir ihm einen Zettel hin, und
verschwinden wir.«
    Ich griff an die Klinke und wußte im
gleichen Augenblick, was ich hinter der Tür sehen würde. Das machte es
leichter, aber nur für mich.
    Herr Istvan Lobkowicz saß gegenüber der
Tür hinter seinem Schreibtisch. Für seinen Zustand saß er ziemlich aufrecht. Er
trug einen ordentlichen Tagesanzug, Hemd und Krawatte, wie es sich gehörte. Der
Stuhl war ein altmodischer Ledersessel, und der Kopf des alten Mannes ruhte
leicht rechts geneigt in dem ledernen Winkel.
    So saß Herr Lobkowicz und sah uns an.
Er hatte vier Augen.
    Zwei waren die Einschüsse in seiner
Stirn, nebeneinander, nicht sehr groß, ohne viel Blut.
    Die Frau neben mir schrie gellend. So
furchtbar und so lange, als wäre es ihr eigener Todesschrei. Dann fiel sie
zusammen, wo sie stand. Ich trug sie hinaus aus dem Zimmer. Ich fand ein
anderes mit einer Couch. Dorthin legte ich das Fräulein Schadewald. Sie war
weiß, aber sie atmete und ihr Puls ging. Im Bad fand ich Kölnisch Wasser. Ich
strich ihr davon auf Stirn und auf Schläfen. Es half ihr genausowenig, wie es
dem Mann im Wohnzimmer geholfen hätte.
    Ich ging zurück zu ihm. Diesmal war ich
weniger erschrocken als bei Serkoff und bei Stefan. Ich hatte es geahnt und
schämte mich, daß ich mich so schnell an Tote gewöhnen konnte.
    Vor Lobkowicz stand das Telefon. Etwas
fiel mir ein, als ich nach dem Hörer greifen wollte.
    Ich nahm mein Taschentuch in die rechte
Hand, so daß Daumen und Zeigefinger bedeckt waren. Der breite Bücherschrank an
der Wand hatte vier Türen. Ich faßte sie nacheinander mit dem Taschentuch und
öffnete die Türen.
    Bücher, Manuskripte, lose Blätter,
Broschüren. Nicht das, was ich suchte. Behutsam verschloß ich den Schrank
wieder.
    Eine zweite Tür war auf der anderen
Seite. Ich paßte auf, daß keine Fingerabdrücke an die Tür gerieten. Ich stand
in der Bibliothek des toten Herrn Lobkowicz. Er hatte viel gelesen. Die Regale
reichten bis zur Decke, aber auch hier fand ich nichts, was einer Kartei
ähnlich gesehen hätte.
    Blieb noch der Schreibtisch. Der Tote
saß so, daß ich die Seitenabteile öffnen konnte. Es war heiß, und mein Hemd
klebte an meiner Haut. Ich kauerte verkrümmt auf den Knien und zog die
Schubladen auf. Neben mir saß Lobkowicz.
    Auf der rechten Seite war nichts. Als
ich links öffnete, vergaß ich die Hitze, Schweiß und den Toten einen Augenblick.
Zwei Karteikästen waren übereinander in das Abteil eingelassen.
    Ich hob den Kopf und lauschte noch
einmal, ob die Schadewald sich rührte. Wenn Sie schon ohnmächtig war, sollte
sie es bleiben, bis ich fertig war. Von draußen kam kein Laut.
    Es war nicht einfach, die Karten mit
dem Taschentuch rauszuziehen. Sie hingen am rechten unteren Ende an einer
Messingstange und ließen sich nur herauskippen.
    Der Buchstabe L war am Ende des oben
Kastens. Ich nahm Karte um Karte hoch. Meine Finger zitterten und

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