Ninis - Die Wiege der Baeume
Schale gegorenen Beerensaftes verschüttete, bevor er mit roter Nase umkippte. Die Lamenis legten nur ein Tuch über ihn, damit sich keiner durch seine Schnarcherei gestört fühlte und feierten weiter. Das kannte Yirmesa auch schon, er hatte noch nie das Ende einer Festnacht erlebt.
Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war und Karlema Platz genommen hatte, ertönte in der Menge ein leises Summen, das beständig lauter wurde. Immer deutlicher erklang das alte Lied des Jaloper. Die Lamenis löschten die Fackeln und nur das schwache Licht des Mondes beleuchtete jetzt noch das Feld. Yirmesa summte leise mit, es war wunderschön.
Auf dem Hügel erwachten die Opelis aus ihrem Schlaf, sie erhoben sich langsam aus der Erde und richteten zuerst ihre Blätter auf. Blumengleich wuchsen Knospen aus der Tiefe und schoben sich, durch armdicke Stiele gestützt, in die Höhe. Je weiter sich eine Blüte dem Mond Jaloper entgegenstreckte, desto intensiver wurde ihr Farbenspiel. Zunächst gaben sie nur das Mondlicht schüchtern zurück, um mit der Zeit ihre Befangenheit abzulegen und eigenständig zu scheinen.
Yirmesa verfolgte das Schauspiel und fragte sich, wie wohl die Opelis-Pflanzen in voller Blüte aussahen. Mit dem Summen der Lamenis und dem Licht des Jaloper zeigten sich an den Blüten stetig neue Farben. Immer intensiver und heller überstrahlten sie dabei das Mondlicht. Der Duft von Zitrusfrüchten lag in der nächtlichen Luft, die Knospen der Opelis leuchteten nun in der Höhe feuerrot und in den Blüten konnte sie ein weiteres Licht erkennen.
„Gleich ist es so weit.” Yirmesa war aufgeregt. Sie hörte, dass auch die Pflanzen in das Lied einstimmten. Es klang, als ob die Blüten selbst summten. Eine Opelis führte ihre Knospe zum Boden: Wie eine Mutter, die ihr Baby in eine Wiege legte, berührte sie mit ihren äußeren Blättern die Erde. Immer weitere Blätter gaben das Herz der Knospe frei, während das Leuchten heller und heller wurde.
Die Lamenis summten weiterhin das Lied des Jaloper. Als die letzten Blätter die Mitte freigaben, richteten sich zwei großflächig verwachsene Fruchthälften auf. Es zeigten sich Risse, und Stücke der Fruchtschale fielen auf den Boden.
Eine Hand stieß von innen durch die Schale und vergrößerte die Öffnung. Sie sah Kopf und Oberkörper eines männlichen Lamenis, der mit einer Hand die Schale nach außen drückte und mit seinem anderen Arm seine Frau hielt. Zwischen ihnen lag ein schlafendes Neugeborenes dicht an ihrer Brust. Viele feine grüne Ranken lösten sich gerade von ihnen und gaben die junge Familie frei. Beide blinzelten im Mondlicht des Jaloper, als ob sie in die Sonne blickten. Ihre ersten Schritte waren noch wackelig, die Freude stand ihnen aber trotzdem in den Gesichtern.
„Heißt die Kleinen willkommen! Dankt Jaloper.” Karlema stand in der Mitte und hob die Arme, während die Menge der Lamenis weiter summte.
Yirmesa sah ihre Großmutter an. „Nana, wieso bist du immer traurig, wenn wir über das Mondfest sprechen? Jetzt sitzt du neben mir und weinst sogar!”
Mit zitternder Hand hielt Levinie wieder diesen hässlichen kleinen Stein fest, den sie seit Ewigkeiten an einem verwitterten Lederband um den Hals gebunden trug.
Sie murmelte etwas und küsste ihren Handrücken. „Ist schon in Ordnung, Yiri. Pass auf, es geht noch weiter!” Sie lenkte wieder ab, Yirmesa konnte sich nicht erklären, warum sich ihre Großmutter ihr gegenüber verschloss. Sie fragte sich auch, warum sie so lange hatte darauf warten müssen, am Mondfest teilzunehmen. Das war doch ein Fest der Freude, wieso hatte ihre Nana kein Vertrauen zu ihr?
Yirmesa blickte erneut zu den Pflanzen herüber, sie wusste, dass die Opelis mit der Freigabe neuen Lebens ihre Pflicht noch nicht erfüllt hatten. Die offenen Blüten glichen einem behaglichen Bett, das dunkelrot und warm Zuversicht vermittelte. Sie freute sich schon auf den Tag, an dem sie an der Reihe sein würde.
Die unzähligen feinen grünen Ranken, die zuvor scheinbar völlig ungeordnet an der Haut der jungen Eltern gehaftet hatten, bildeten nun einen lebenden Vorhang.
Ein anderes junges Paar ging zu Karlema, beiden hielten sich an den Händen und blickten die Wächterin des Mondfestes erwartungsvoll an. Die Alte nickte, beide ließen ihre Kleidung auf den Boden gleiten und schritten auf die Opelis zu. Er half ihr, sich in die geöffnete Blüte zu legen. Die feinen Ranken umschlossen sie sofort, wie kleine Adern schmiegten sich die Triebe
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