Ninis - Die Wiege der Baeume
stieg als Letzter in die Gondel eines kleineren Schützenschiffes, das sich aus dem Sand der Wüste erhob. Bis auf die Sandsäcke und die ausgebrannten Feuerstellen blieb nichts von ihnen zurück. Yirmesa hatte ihn damals verschont. Heute nahm er sie gefangen, ob er sie wiedererkannte?
Eine junge Litise kam zu ihnen. „Seid ihr Levinie und Verlia?” Es war bereits Abend. Ihr Gesicht und ihr Körper sahen aus wie die schroffe Oberfläche eines grauschwarzen Steines. Nur ihre hellblauen Augen hoben sich hervor.
„Du hast uns gefunden. Was können wir für dich tun?”
„In der Nähe liegt eine alte Frau im Sterben. Ihre Sinne sind nicht mehr klar. Sie hat mich Levinie genannt und sprach andauernd über die Lamenis und ein Tal mit dem Namen Jabari. Ich kenne kein Volk mit diesem Namen, aber Helowen schickte mich, euch zu suchen”, erklärte sie geduldig. Gab es etwa weitere Überlebende aus dem Jabari, fragte sich Levinie überrascht.
„Wir kommen. Warte kurz.” Verlia stand auf und trat gegen einen großen, haarigen Fellhaufen. „Kiris, du Faulpelz! Dass du jetzt schlafen kannst! Komm mit!”
„Wie … werden wir angegriffen?”
„Wir sind anscheinend doch nicht die letzten Lamenis! Begleite Levinie und mich. Ich brauche jemanden, den ich schlagen kann, wenn ich mich aufrege. Wer weiß, was wir hier noch alles erleben!”
Kiris nickte stumm, wandelte seine Form und ging, noch verschlafen, den drei Frauen hinterher. Die junge Litise lachte, wobei sich auf ihrem Rücken und Hinterkopf Steinkanten erhoben und senkten. Für Levinie waren diese Wesen unfassbar. „Du bist eine Litise?”
„Ja.”
„Vermutlich hast du noch nie einen Bärenkrieger gesehen!”
„Nein, noch nie.”
„Ist auch nichts Besonderes!”
„Bei allem, was ich heute schon erlebt habe! Dich hätte ich nicht erwartet!” Levinie setzte sich zu Karlema.
„Levinie!” Sie hustete. „Die Wüste ist nichts für unser Volk, wir gehören in den Jabari!”
„Unsere Heimat. Da hast du Recht!”
Verlia, Kiris und die junge Litise standen hinter ihr. In der Höhle um sie herum saßen und lagen unzählige Litisen, die eher Steinen als Lebewesen ähnelten.
„Wir haben uns lange nicht gesehen. Was hast du die ganze Zeit gemacht?”
„Ich bin zurück in den Jabari.”
„Und?”
„Ich war allein. Die Bäume unserer Ahnen, verbrannt oder still, alles hatte sich verändert. Ich konnte es mit der Zeit nicht mehr ertragen und machte mich auf die Suche nach euch.”
„Immerhin, du hast uns gefunden!”
„Danke …”
„Wofür?”
Aber Karlema schaute ihr nur in die Augen. Sie wirkte müde, alt, aber zufrieden. Ihre Haut verdunkelte sich, ähnlich einem Stück Baumrinde in der Sonne. Ihre Atmung wurde flacher und es bildeten sich kleine Astlöcher in ihrem Gesicht. Aus ihren Beinen drangen feine Wurzelstränge, die aber nur leblos nach unten hingen.
„Sie stirbt. Möge sie Frieden finden.”
„Ihre Zeit ist gekommen, nur wird sie außerhalb des Jabari keinen Halt finden.” Verlia legte Levinie die Hand auf die Schulter. Kiris stand still neben ihr.
„Verlia, kannst du dich an Deasu erinnern?”
„An den Tag, an dem wir flohen? Sicherlich, wie sollte ich den vergessen!”
„Die zweite Frau, neben dieser Lorias? Die, deren Gesicht wir nicht sehen konnten.”
„Ja, die Wasservorrichtung. Sie wusste, wie sie dieses Wesen in Yiri packen konnte!”
„Ich habe nie darüber gesprochen, aber ich dachte damals, Karlema hätte uns verraten!”
„Wäre sie dann hier, Nana?”
„Nein, sicherlich nicht! Aber ich hätte es ihr zugetraut. Ihr Hang zur Macht, die ganzen Eitelkeiten. Sie hätte vermutlich alles von den Renelaten bekommen.”
„Und doch folgte sie uns.”
„Ja.”
Die Augen von Karlema trübten sich, ihr Licht erlosch – sie wandelte sich in ein Stück lebloses Holz. Die Litise neben ihnen ging zu ihr und schlug sich mit der Faust wuchtvoll auf den Oberschenkel. Ein Geräusch, wie wenn ein Stück Granit aus dem Fels geschlagen wird – sie nahm den Stein und legte ihn zu Karlema. Das kleine Gesteinsstück veränderte rasch seine Form und Farbe, es fügte sich nahtlos in die hölzerne Haut von Karlema ein.
„Ich kenne sie nicht, aber sie erlaubte mir, sie auf ihrem Weg zu begleiten. Steine sind heilig, deshalb wird ein Stück von mir nun für immer bei ihr sein.”
Levinie lächelte, das Ritual der Litise überraschte sie, unbekannt und voller Magie, ein bemerkenswertes Volk.
***
VI. Buch
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