Ninis - Die Wiege der Baeume
zusehen, sie schrie verzweifelt: „YIRMESA! NEIN, das darfst du nicht tun!” Die Wahrnehmung schmerzte, ihre Gedanken brauchten einen Moment, um die Erlebnisse zu verarbeiten. Gemeinsam mit Tausenden blickte sie von unten durch eine glasklare Salzplatte. Nah und doch außer Reichweite, verfolgten sie die Kapitulation von Amun'ral und den Niederschlag durch eine alte Frau in schwarzer Robe.
Levinie umschloss fest ihren Stein und küsste den Handrücken: „Nimm meine Angst und schenk’ mir Mut, in der Dunkelheit zu bestehen!” Sie hatte keine Möglichkeit einzugreifen. Die Ohnmacht der Massen neben ihr wich zahlreichen kraftvollen Gesten und der machtlosen Wut vieler. Nur die Sene öffneten für niemanden den Weg nach oben.
Levinie weinte und haderte mit sich selbst: „Wie konntest du uns nur zurücklassen?”
„Nana, ich bin bei dir!” Verlia nahm sie in den Arm. Beide klammerten sich aneinander und weinten.
„Warum hat sie das getan?”
„Ich weiß es nicht! Sie hat sich verändert, es ist zu viel geschehen!”
„Warum? Warum nur, ich wollte für sie kämpfen! Meine Schuld, wie soll ich nur meine Schuld begleichen, wenn sie uns hier zurücklässt!”
„Sieh durch das Salz. Sie liegt vor den Renelaten und keiner kämpft. Niemand ist heute umgekommen. Ich glaube, wir sollten besser zuhören! Sie hat dir bereits vergeben.”
Levinie blickte wehmütig ihrem Kind nach, das gerade bewusstlos von mehreren Renelaten ins Lager getragen wurde. Die Frau in der schwarzen Robe ließ ihre Hände auf den Rücken binden und sie in einen Leinensack stopfen.
Dem kollektiven Rausch der Kraft folgte die Resignation nichts ausrichten zu können. Als ob Levinie jemand den Glauben gestohlen hatte und wie ein Puppenspieler trickreich im Schatten verschwunden war.
Ein kräftiger Hulune stand auf: „Sie behandeln Amun'ral wie eine Aussätzige! Hört mir zu, das können wir nicht zulassen. Wir gehen an die Oberfläche und befreien sie!” Er streckte seinen Speer in die Höhe.
„Wir befreien sie! Ja!” Die Menge jubelte, sie riefen ihren Namen und gingen auf Helowen zu. Levinie sah, wie der kleine Anführer der Sene auf der Steinplatte stand, von der am Abend zuvor Amun'ral zu ihnen gesprochen hatte. Er schwieg – er hielt seinen Stab und trotzte dem Unmut aller. Fünfzig Krieger der Sene standen entschlossen hinter ihm – hunderttausend enttäuschte Flüchtlinge vor ihm.
„Helowen, gib uns den Weg frei! Wir werden nicht zulassen, dass sie uns Amun'ral nehmen! Du wirst uns nicht aufhalten!” Der Hulune peitschte die Massen weiter an. Jubel, Kampfrufe, sie gingen auf die Sene zu. Helowen reagierte nicht, er blieb stehen und schaute dem Hulunen in die Augen.
„Was ist das? Seht! Nein, das kann nicht sein! Wo kommen die her? Die können doch nicht so schnell hier sein!” Ein Karne zeigte bestürzt in den Himmel. Die Aufmerksamkeit aller richtete sich nach oben. Unzählige Luftschiffe senkten sich vom Westen her langsam in die Wüste. Die Sonne stand noch flach und färbte die hellen Flugtaschen glutrot.
„Die Flotte! Die hätten uns abgeschlachtet wie Vieh! Oh, nein, das wäre unser Ende gewesen!”
Bestürzung, Angst, viele Hände zitterten. In diesem Augenblick erkannte Levinie, wie der Kampf ausgegangen wäre, den ihre Kleine ihnen vorenthalten hatte. Der Hulune schnappte nach Luft, senkte seine Waffe und setzte sich ohne ein weiteres Wort nieder.
„Siehst du! Sie muss es gewusst haben. Die paar Renelaten wären dieses Opfer nicht wert gewesen. Wir hätten gegen einen Angriff aus der Luft keine Chance gehabt.” Verlia küsste Kiris. „Sie hat mir lieber meinen Bärenkrieger gelassen, danke, Yiri!”
Kiris schaute sie an: „Und jetzt?” Beide standen neben Levinie, die langsam verstand was gerade passiert war.
Verlia knuffte ihn. „Wir leben, wir sind in Sicherheit und wir sind nicht allein! Sieh dich um, unser Heer ist gigantisch! Wir werden kämpfen, nur werden wir in der nächsten Schlacht besser vorbereitet sein und Amun'ral befreien!”
„Und diese verdammten Luftschiffe vom Himmel blasen!” Levinie weinte und lachte gleichzeitig.
„Ja, Nana. Wir werden sie besiegen!”
Levinie blickte noch eine Weile durch das klare Salz. Sie beobachteten ihre Yirmesa, die leblos in der Sonne lag, und die Flotte der Renelaten, von denen zahlreiche Schiffe im Sand landeten. Das Feldlager löste sich in kurzer Zeit auf, die Soldaten verluden Maultiere, Ausrüstung und auch die Gefangene.
Prinz Manoos
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