Nixenjagd
1
Der Sechzehnjährige, der Petra Gerres im Vernehmungsraum gegenübersaß, wirkte angespannt, dabei aber beherrsch t und selbstsicher. Normalerweise fragte Petra bei Jugendliche n dieses Alters, ob sie sie duzen durfte. Aber Paul Römer wirkt e so erwachsen, dass Petra das Sie ganz automatisch über di e Lippen kam . »Sie waren am vergangenen Freitag zuletzt mit Katrin Panka u zusammen«, begann sie die Befragung . »Nein. « »Es gibt Zeugenaussagen. « »Ich war nicht der Letzte, der sie gesehen hat. Sie ist mit eine r ganzen Meute schwimmen gegangen. Die waren die Letzten. « Punkt für ihn, musste Petra zugeben . »Warum sind Sie nicht mitgegangen? « »Ich war zu müde. Ich hatte seit dem Nachmittag getrunken. « »Wie war ihr Verhältnis zu Katrin Pankau? « »Sie war eine Mitschülerin. « »Mehr nicht? « »Ich bin erst seit fünf Wochen an dieser Schule. « »Aber Sie haben einige Stunden mit Katrin Pankau in Ihre m Zelt verbracht. « »Ja. Und? Das ist doch nicht verboten, oder?« Das klang trotzig .
Offenbar befand sich hinter seiner reifen Fassade ein verunsicherter Jugendlicher, dachte Petra mit einem Anflug von Sympathie. Ein attraktiver Junge. Sicher der Schwarm des Jahrgangs. »Sie sind also nicht miteinander ›gegangen‹, wie man so sagt?« »Nein.« »Waren Sie in Katrin verliebt?« Paul schüttelte unwirsch den Kopf. »Mein Gott, ich war halt betrunken und sie hat es darauf angelegt. So was kommt vor, oder?« »Hören Sie, Herr Römer. Paul.« Petra beugte sich über den kleinen Tisch und sah dem Jungen mit ernster Miene in die blauen Augen. »Es geht hier nicht um Moral oder um Ihr Liebesleben. Aber es ist möglicherweise ein Mord geschehen und ich...« »Ein Mord?« Die Worte kamen laut und erschrocken. Zum ersten Mal zeigte sich Unsicherheit in Pauls Miene. »Wieso denn ein Mord? Ich denke, sie ist ertrunken?« »Das will ich Ihnen gerade erklären. Katrin hatte an einigen Stellen des Körpers Hämatome. Also blaue Flecken...« »Ich weiß, was Hämatome sind.« »Gut. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Ihre... Aktivitäten im Zelt zu blauen Flecken an Oberarmen, den Rippen und am Hals geführt haben könnten. Aus Leidenschaft, sozusagen. Haben Sie verstanden, was ich meine?« »Ja. Ich meine, nein. Wir haben nichts gemacht, wovon man blaue Flecken bekommen könnte.« Er blickte verlegen auf die Tischplatte. »Es war Katrin, die unbedingt... also, sie ist zu mir ins Zelt gekommen. Ich habe eigentlich nicht viel dazugetan.« Petra nickte. »Wo waren Sie in der Zeit, als die anderen schwimmen waren?« Paul schluckte, dann sagte er mit bemühter Ruhe: »Zuerst im Zelt, ich habe geschlafen. Als ich die Ersten vom Schwimme n zurückkommen hörte, bin ich wach geworden und habe mic h ans Feuer gesetzt. « »Wer war da noch? « »Die meisten kannte ich nicht. Wie gesagt, ich bin ja noch nich t so lange an der Schule. Ein paar aus der Elften hockten da ru m und haben...«Er unterbrach sich . »Haben was? « »Gekifft«, seufzte Paul . »Sie auch? « »Ja. Aber ich habe nichts davon gespürt. « »Gewohnheit? « »Nein. Es wirkt bei mir einfach nicht. Leider«, setzte er hinzu . »Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Katrin nicht vom Schwimme n zurückgekommen ist? « »Nein. Erst als Silke mich fragte, ob ich wüsste, wo Katrin sei . Dann haben wir angefangen, sie zu suchen. Erst nur ein paar , dann alle, die noch wach waren. Als das nichts gebracht hat , haben wir beschlossen, die Polizei anzurufen. « Einige Sekunden verstrichen, dann flüsterte Paul: »Glauben Si e wirklich, dass sie ermordet worden ist? « »Wir glauben gar nichts. Wir ermitteln«, antwortete die Kommissarin .
1 2
»Glaubst du, dass es einer von uns war?«, fragte Franziska. Sie und Oliver radelten langsam nebeneinanderher. Der Vormittag in der Schule war genauso bedrückend gewesen wie der gestrige. Sogar noch schlimmer. Am Montag hatte man noch annehmen dürfen, Katrin sei ertrunken. Folglich war der Zeitung das Ereignis nur eine kleine Meldung im Lokalteil wert gewesen. Heute Morgen jedoch hatte groß in der Hannoverschen Allgemeinen gestanden, dass die Polizei von einem Verbrechen ausging. Die Bild Hannover titelte sogar: Mord unter Schülern?
»Paul musste gestern zur Polizei«, sagte Oliver. »Ja, und?«, erwiderte Franziska gereizt. »Ich muss heute auch noch zur Polizei. Du auch, und Silke und die anderen.« »Was regst du dich so auf?« »Ich reg mich nicht auf.« »Stehst wohl auf Paul, was?« »Blödsinn! Aber wo wir
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