Nizza - mon amour (German Edition)
»feine« Abteilung). Da sitze ich nun, glücklicher Gast, hoch oben über dem Meer, die Glaswände bieten einen atemberaubenden Blick die ganze im abendlichen Lichterglanz flimmernde Küste entlang; mit ein wenig Phantasie will man – da komme ich heute her – den Leuchtturm von Cap d’Antibes blinken und blinzeln sehen, man meint über den Fluten zu driften, noch dazu, wenn in die Dämmerung hinein beleuchtete Kreuzfahrtschiffe tutend aus dem Hafen gleiten. Sie sehen ja sehr festlich aus, solange man nicht an Bord sein muß … Nein, man darf hier sein, nur die köstlich bereiteten Speisen, die verschiedenen Gänge unterbrechen das Träumen. Denn wenn langsam die Dämmerung das Licht aus dem Himmel leckt, sich Firmament und Meer zu vermählen beginnen, der grau-violette Himmel sich herniederneigt auf die nun ganz dunkel-silbrige See – ins Träumen geraten darf man schon. Der Literat in mir träumt sich auch Eichendorffs Zeilen herbei:
»Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt.«
Wach wird man jählings, wird die Rechnung präsentiert. Sie ist kußecht. Eingeladen zu werden ist etwas Angenehmes. Wenn es einem wohl ergeht, soll man sich selber belohnen, und wenn es einem schlecht ergeht, erst recht. So werfe ich meinen imaginären Kunst-Bumerang in die Lüfte, und auf geht’s gen Vence. Denn dort erwartet den Wanderer Beglückendes.
Zuerst grüßt noch einmal Chagall. Und zwar in der Kathedrale »Notre Dame de la Nativité«; es war das kleinste Bistum Frankreichs, in dem zwischen 374 und 1801 tatsächlich 65 Bischöfe aufeinanderfolgten, und wegen dieser bischöflichen Vergangenheit behielt Vence seine Kathedrale, obwohl der Bischof der Diözese heute in Nizza residiert. Der ursprünglich frühromanische Bau beherbergt neben karolingischen Verschlingungen auf Pfeilern und Mauern, einer Valoncini-Orgel des Jahres 1871 und einem Christus aus dem 16. Jahrhundert, den sogar die Bilderstürmer der Revolution verschonten, jenen berührend-einfachen Taufstein von Marc Chagall aus dem Jahre 1979, von dem hier schon die Rede war. Die schlichte Demut dieses Steins klingt im Besucher nach, geht er hinaus und weiter zur Place Godeau; auch steinerne Schönheit hat ihre Geschichte – einst Friedhof, dann, nach 1780, aus grauen Granit-Quadern des Esterel geformt, wirkt der Platz wie eine eigene zum Himmel hin offene Kathedrale. Im Frühjahr ist es ganz still und leer hier, vielleicht streunt eine Katze um die Ecke, und ein paar Schritte hallen aus einer engen Gasse – da gibt es ein winziges Theaterchen, »L’avant scène«, und gleich daneben ein wenig größeres Bistro, »Zur wütenden Krabbe«. Wütend indes stimmt einen hier gar nichts. Heiter vielmehr alles.
Zumal den, der weiterkutschiert nach Saint-Paul de Vence. Mich allerdings stimmt dieser kleine »Schlenker« die Berge hinauf nicht nur heiter: Die Wolken der Erinnerung können manchmal auch dunkel sein. Hier, fast genau gegenüber der »Fondation Maeght«, verbrachte James Baldwin die letzten Jahre seines Lebens. Er war ein Freund. Er war ein großer Trinker (wie William Faulkner, Ernest Hemingway oder Thomas Wolfe) – wenn er auch über meine Frotzelei »Du putzt dir ja schon morgens die Zähne mit Whisky« lachen konnte. Er war ein bedeutender Schriftsteller, in den 1960er und -70er Jahren erschienen seine Bücher – »Giovanni’s Room«, »Another Country« – höchst erfolgreich auf der ganzen Welt. Er war ein unverklemmt offen lebender Homosexueller – keine einfache Existenz in jener Zeit. Vor allem galt er als die Stimme der Farbigen in Amerika, die mit ihrem Furor, ihrer Eloquenz und dem Elan eines Predigers wie eine helle Fackel in das düster-rassistische Amerika hineinwirkte. Noch 1978 gab er mir hier in St-Paul ein Interview für die ZEIT ; tags zuvor unterhielten sich die beiden jahrelangen Freunde im großen Garten hinter dem provenzalischen Haus, und wir konnten scherzen: »Es ist ja unerhört, Jimmy – einst hielten wir uns ›euch Nigger‹ zum Orangenpflücken – und jetzt sitzt du hier vor 300 eigenen Orangenbäumen.« – »Nur weil hier keine Baumwolle wächst« war seine Antwort. Dann gingen wir in sein »Eßzimmer«, das noch heute (nicht zuletzt wegen der dort hängenden kostbaren Bilder) berühmte Restaurant »Colombe d’Or«, oben auf der Kuppe von Saint-Paul, und da war Baldwin, nie vermögend, immer verschuldet, der üppig bewirtende Stammgast. Neben dem Garten des Restaurants liegt ein schönes Landhaus;
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