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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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der Zufall wollte es, daß es mir Jahrzehnte später zum Kauf angeboten wurde, mit dem diskreten Hinweis des Maklers, es habe zuvor »zwei weltberühmten Künstlern von Bühne und Film« gehört; hinter der verschwiegenen Andeutung verbargen sich die Namen Simone Signoret und Yves Montand – auch sie keine Angepaßten. Wie wenig angepaßt in diesem Frühling des Jahres 1978 der inzwischen fast grauhaarige James Baldwin war, zeigen die emphatischen Sätze, die er mir aufs Interview-Tonband mehr schrie als sprach: »Ganz New York City ist ein KZ , ein Getto. Keiner von uns, der nicht in Gefahr war, keiner, in dessen Familie nicht einer erschlagen wurde, und kaum eine Familie, in der nicht einer dadurch zum Verbrecher wurde. Ich selber habe das Kribbeln der Mordlust aus Angst oft genug verspürt. […] Ich heiße Baldwin, trage also den Namen eines Weißen; muß ich ausgerechnet Ihnen erklären, was das heißt? Das war einst mein Besitzer! […] Es kommt doch nicht auf mich als Einzelfigur an; ich kann doch nur Membrane, Stimme sein. […] Erinnern Sie sich nicht, wie sie Billie Holiday haben verrecken lassen, jene Weißen, die ihr kurz zuvor zujubelten – selbst wenn sie ›Strange Fruit‹ sang? […] Ich bin in Amerika nicht zu Hause und werde es nie sein. Was bedeutet, daß ich nie, nirgendwo auf der Welt, zu Hause sein werde. Doch so seltsam es klingt: Ich liebe dieses Land. […] Ich gehöre nicht nach Afrika, Afrika ist mir gänzlich fremd; ich gehöre nicht nach Chartres, auch wenn ich diese Kultur berühre – ich berühre sie wie eine Plastik von Giacometti. Gemacht hat er sie.«
    Es war ein düsterer Nachmittag, aber er wurde doch noch wunderschön; denn eben fast genau gegenüber der Eingangspforte zu Haus und Garten von Baldwin liegt die Auffahrt zu der »Fondation Maeght« – und ihren Giacomettis. Wie zwei erschöpfte Kampfhähne atmeten wir den Pinienduft dieses in die Landschaft eingebetteten Kunsttempels, sogen wir die Ruhe ein, die Kunst dem bietet, der sich ihr aussetzt. Noch heute, ein Vierteljahrhundert danach, tänzelt gleichsam neben mir der versunken-stille James Baldwin, besuche ich den großartigen Park und das weiß über den Hügeln schwebende Gebäude – ein gestrandeter Ozeanriese mit seiner Last an Gemälden, Mosaiken, Skulpturen. Der katalanische Architekt Josep Lluís Sert hat ein weit in die Landschaft hineinstrahlendes Wunderwerk errichtet; wohl kein Zufall, daß es beherrscht wird von ganz verschiedenen Formaten seines Landsmannes Joan Miró. Eigentlich bin ich kein Verehrer dieses reichlich eklektischen Künstlers, hinter dessen Plastiken allzu oft das Echo des Originals Max Ernst hervorkichert und dessen Zirkel, balancierende Monde und bunte Strichmännchen mir mehr Design zu sein scheinen als großer Wurf. Doch merkwürdig: Hier, in dieser reich ausgestatteten Stiftung des einstigen Kunsthändlers Maeght – also einer Art Privatmuseum – bekommen sie Atem und Würde und eine ganz große Freiheit. Kunst, so aufgestellt und gruppiert, wird zum existentiellen Zeichen – seien es die Mosaiken von Braque oder Chagall, sei es die weite Giacometti-Terrasse mit ihren Wasserbecken, die seinen Bronzen ein Spiel aus Schatten und Spiegelung bietet; je nach Wolkensturm oder Sonnenglast wirkt in und aus ihnen etwas Mythisches, sie stehen mahnend, vorzeitliche Menhire. Was immer diese herrliche Sammlung darbietet, aufragend in den Himmel, sich abhebend vor grob belassenen Steinmauern oder jenen dräuenden Wolken nachjagend: Die Objekte wollen weg von uns, und sie wollen zu uns. Ein Märchengarten empfängt uns.
    Eigenartig bis verstörend ist dabei eine alte, immer neue Erfahrung. Es ist Kunst, die ganz tief in unser Innerstes, in eine schwer zu definierende Schicht unserer Existenz eingreift. Vieles ist interessant, manches bedenkenswert, anderes stimmt nachdenklich. Aber nur die Kunst hat diese Kraft eines Senkbleis. Nehmen wir die vielen Denkmäler oder Erinnerungstafeln, oft mit verwitterten Inschriften, die in Südfrankreich (gleich nach Paris) uns so zahlreich vor Augen geführt werden. Das kann die hübsche Erinnerung an Anton Tschechow am Hotel »Beau Rivage« sein, der – was ich nie wußte – in Nizza sein Meisterwerk »Drei Schwestern« vollendete und zu Zeiten in derselben Pension »Hotel Oasis« wie Lenin wohnte; nehmen wir das übergroße Denkmal für die 4000 Nizzaer Gefallenen des Ersten Weltkriegs am Felsabhang des Schloßhügels gegenüber dem Hafen; nehmen wir das

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