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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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steinerne Spektakel oberhalb von La Turbie, das angeblich die Grenze zwischen Orient und Okzident triumphal markierte. Tatsächlich ist es wohl auf Geheiß römischer Senatoren errichtet worden, auf dem höchsten Paß der Via Iulia Augusta, der Grenze nämlich zwischen Gallien und Italien. Die Botschaft der Rotunde aus 24 dorischen Säulen, oben in 50 m Höhe gekrönt von einer Augustus-Statue, war unmißverständlich: Die Macht Roms ist unbesiegbar, wer Widerstand leistet, endet als Sklave. Doch dieses »war« bezeichnet auch den Lauf der Geschichte – Mönche zerstörten die Statue des Heidenkaisers, dann sprengten französische Soldaten das Monument. Und »Lauf der Geschichte« heißt – nicht nur in den Alpis summa, wie der Paß einst hieß – oft auch »List der Geschichte«: Was wir heute sehen, nur mehr vier Säulen auf einem Sockel, hat im späten 19. Jahrhundert ein amerikanischer Millionär nachbilden und aufbauen lassen. Edward Tuck war, was heute so rar geworden ist: ein reicher Tourist, der Frankreich schließlich zu seiner zweiten Heimat machte und aus Dankbarkeit mit vielen Zuwendungen bedachte. Solch großem Geschichtsrätsel können wir dann als kleines Spiel gegenüberstellen das aparte Kreuzworträtsel »Name mit 8 Buchstaben – wessen Pseudonym war das, als er mit 24 Jahren die Artillerie des Département Alpes-Maritimes kommandierte?« – Das Pseudonym lautete Laurenti (Joseph), und eine Gedenktafel am clandestinen Wohnhaus lüftete das Geheimnis mit der Inschrift »Napoléon Bonaparte. Général de Brigade. Commandant l’Artillerie de l’Armée d’Italie. Habita cette Maison du 27 mars au 22 décembre 1794.« Gewiß, das sind kennerisch-gewitzte Spiele. Indes es doch Umwege sind zum Eigentlichen.
    Dabei habe ich mit all diesen Umwegen einen Frevel begangen; denn es gilt, dem im nahe gelegenen Biot aufragenden »Musée Fernand Léger« seinen Tribut zu zollen, dessen machtvolles Riesenmosaik über der Eingangsfassade bereits den Rhythmus von Légers Kunstgesetz andeutet: Arbeit ist Spiel. Wobei diese Fassadenstruktur ein eigenes Spiel vorführt – die zwei großformatigen figürlichen Porträts sind verschleiert (wohl gegen die ansonsten sich dort einnistenden Tauben?). Die strahlende Farbigkeit der – renovierten – Mosaikwände verdeutlicht aber auch eine innere Gefährdung von Légers Kunst, zumal in der zart getönten ungebundenen Landschaft: Sie hat etwas Gewaltsames. Kunst, die nicht wispert, ist Plakat. Sie zeugt nicht, sie über-zeugt. Nur selten eignet Légers Arbeiten für mein Gefühl etwas Lyrisch-Schwingendes wie bei dem Tableau »Les Trois Musiciens« aus dem Jahre 1930, eine Arbeit zwar in Öl, aber nahezu ohne Farbe. Ansonsten schweigen seine Menschen – zumeist Arbeiter an Baugerüsten, fast an den sozialistischen Realismus erinnernd – nicht; sie haben etwas nach außen Gestülptes; aus den großen Keramik-Bas-Reliefs springen sie den Betrachter förmlich an. Zur Ruhe findet man am ehesten noch – keine Kunst in Frankreich ohne die kulinarische! – in der »Auberge du Jarrier« im Zentrum von Biot, wo man zwischen frischer Entenstopfleber mit gekochten Feigen oder in seiner Haut gegrilltem Wolfsbarschfilet zu preiswerten Weinen der Gegend wählen kann.
    Doch noch eine andere Nachdenklichkeit gibt einem das Léger-Museum auf, für mein Urteil viel zu wenig bekannt und gerühmt: Die französische Kultur ist ein fein gewirkter Teppich gegenseitiger Einflußnahmen, des Respekts vor dem anderen, oft auch der Huldigung. So wurde das Léger-Museum – eine Stiftung seiner zweiten Frau Nadia, der ehemaligen Schülerin und langjährigen Weggefährtin, die er 1952, zwei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau, heiratete – im Jahre 1960, nur fünf Jahre nach Légers Tod, unter der Ehrenpräsidentschaft von Georges Braque, Marc Chagall und Pablo Picasso eröffnet und schon kurz darauf von André Malraux, dem damaligen französischen Staatsminister für Kultur, in den Rang eines Nationalmuseums erhoben. Man erwies dem großen Kollegen die Ehre. Die Fäden und Verknüpfungen dieses »Teppichs« schlingen sich durch alle Genres – Sartre wie Genet schrieben bewegende Essays über bildende Kunst, die kleine Stadt Menton hat dem Schriftsteller-Künstler Jean Cocteau (dank des Stifters Séverin Wunderman) ein eigenes kleines Museum eingerichtet, und die Provinzbehörden haben es durchaus sinnigerweise »Jean Cocteau le Méditerranéen« gewidmet. Stets sauste das Weberschiffchen

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