Nobels Testament
Cowboystiefel, eine schwarze Daunenjacke, eine dreckige Riesentasche und ein rosa Tüllkleid. Die Haare hatte sie zu einem großen Knoten mitten auf dem Kopf zusammengedreht und mit einem Bleistift festgesteckt.
»Der Justiziar hat herausgefunden, dass sie nicht über die Schießerei schreiben darf und auch nicht darüber, was sich davor oder danach zugetragen hat«, sagte Jansson und ließ sich auf einen der Besucherstühle fallen. »Sie darf auch nicht interviewt werden oder auf andere Weise ihre Beobachtungen im Zusammenhang mit dem Verbrechen weitergeben. Laut Zivilprozessordnung ist es nicht strafbar, das Redeverbot zu brechen, aber es ist mit Ordnungsstrafen belegt, wie das zusammen geht, ist mir auch nicht klar …«
»Was haben Sie gesehen?«, fragte Anders Schyman.
»Sie haben doch gehört …«, sagte Annika Bengtzon. Sie sank ebenfalls auf einen der Besucherstühle, bleich und ein wenig verschwitzt und mitgenommen.
Der Chefredakteur wischte ihre Zweifel mit einer Handbewegung fort, sie schien vor seinen Augen zu schrumpfen, und ihr fehlte die Kraft zu protestieren.
»Ich habe die Person, von der sie glauben, sie sei der Mörder, ganz gut gesehen«, sagte sie. »Es waren offensichtlich nicht so viele, die …«
Sie fuhr sich durchs Haar, sodass sich der Bleistift löste, wie eine dunkle Gardine fielen ihr die Strähnen vors Gesicht.
»Ich habe dreieinhalb Stunden bei der Kriminalpolizei gesessen und versucht, ein Phantombild der Frau zu erstellen. Es ist nicht sehr gut gelungen, aber die Polizei glaubt, dass es viel besser ist als eine einfache Beschreibung …«
»Sie haben den Mörder gesehen?«, fragte der Chefredakteur und merkte peinlich berührt, wie aufgeregt er klang. »Es war also eine Frau, die geschossen hat. Haben Sie auch den Mord selbst mitbekommen?«
Die Reporterin nickte, schaute auf ihre Hände und zögerte.
»Sie hat mich angesehen«, sagte Annika Bengtzon und begegnete seinem Blick. »Sie hat mich angesehen, während sie starb.«
»Caroline von Behring? Sie haben gesehen, wie sie erschossen wurde?«
Mit einer unbewussten Bewegung drehte sie ihre Haare wieder zusammen und steckte sie mit dem Bleistift fest. Ihre Augen fixierten einen Punkt irgendwo über dem Dach der Russischen Botschaft, als sie antwortete.
»Da war etwas in ihrem Blick«, sagte Annika Bengtzon und starrte weiter aus dem Fenster, dann ließ sie die Hände auf die Knie sinken.
»Und Sie haben nichts beizutragen? Für uns, meine ich, Ihren Arbeitgeber?«
Sie schaute zu ihm auf, ihr Blick verdunkelte sich.
»Ich weiß nicht mehr über die Arbeit der Polizei als das, was ich selbst miterlebt habe. Da sind Sie wesentlich besser informiert als ich. Ich nehme an, die Farbe von Königin Silvias Kleid ist nicht mehr interessant.«
Anders Schyman unterdrückte den aufkeimenden Ärger und wandte sich dem Chef vom Dienst zu.
»Gibt es irgendeine Möglichkeit, wie wir das hier umgehen können?«
»Laut unserem Justiziar nicht.«
Der Chefredakteur erhob sich, nicht in der Lage, noch länger stillzusitzen.
»Genau so etwas habe ich immer befürchtet«, sagte er viel zu laut und warf die Arme in die Luft. »Wir haben einmalige Informationen aus erster Hand, und die Polizei verpasst uns einen Maulkorb. Die Terrorgesetze sind schon in Kraft getreten. Jetzt verbieten sie uns, über das spektakulärste Verbrechen seit Urzeiten zu berichten, und mit welchem Argument? Verdammt noch mal, wir leben doch in einer Demokratie!«
Jansson warf einen hastigen Blick auf seine Uhr, immer leicht beschämt von derartigen Gefühlsausbrüchen.
»Zivilprozessordnung, Kapitel 23«, sagte Annika, »Paragraf 10, letzter Absatz: Bei Verdacht auf Zuwiderhandlung kann die Aussage von Hauptzeugen vom Vorsitzenden der Voruntersuchung geschützt werden. Das ist ein uraltes Gesetz, um zu verhindern, dass die Ermittlungen sabotiert werden.«
»Sie finden immer einen guten Grund, die freie Meinungsäußerung einzuschränken«, sagte Schyman und drohte seinen Angestellten mit dem Finger. »Wie zum Henker konnte so etwas überhaupt passieren? Gab es denn keine Sicherheitsmaßnahmen im Stadshuset?«
Annika Bengtzon rieb sich mit der Handfläche über die Augen.
»Natürlich gab es die. Aber die Nobelpreis-Gala hatte immer nur Durchschnittsstatus. Das Sicherheitsniveau ist schon seit Jahren dasselbe. Die Schutzpolizei arbeitet mit dem Staatsschutz und dem Veranstalter und der Leitung des Stadshuset zusammen, daran ist nichts
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