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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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dünne Plastik drang, und bewegte die Finger, um sich nicht zu verbrennen.
    »Ich kenne Schyman«, sagte sie leise. »Besser, als viele vielleicht ahnen. Ich weiß, was er sich zu Herzen nimmt, und diese Sache hat er nicht so einfach weggesteckt. Es wird schon vorbeigehen, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende ihm erst verziehen hat. Ein halbes Jahr, dann werde ich vielleicht aus dem Kühlschrank gelassen.«
    Jansson schlürfte geräuschvoll.
    »Was ist denn das für ein Gerede?«, sagte er, nachdem er einen Schluck genommen hatte. »Kühlschrank? Über die Nobelpreis-Gala zu berichten ist ja wohl ein Ehrenauftrag.«
    »Mit Ulf Olsson im Schlepptau? Du machst wohl Witze! Und diesem Aufzug?«
    Sie zog an dem rosa Polyesterkleid, der Saum war aufgegangen. Sie spürte, dass Jansson sie von der Seite betrachtete. Manchmal sah er sie an, wie man ein seltsames Gewächs oder einen unbekannten Vogel anschaut, nicht abschätzig, sondern eher verwundert, als wäre er Botaniker oder Ornithologe.
    »Wie war es eigentlich?«, fragte er und nahm einen tiefen Lungenzug.
    Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und rief sich den Eindruck ins Gedächtnis, als sie die Blaue Halle betreten hatte.
    »Erst mal überwältigend. Viele Kerzen, viele Leute. Ziemlich ekliges Essen, die Vorspeise war ungenießbar. Aber sie war warm, gar nicht kalt, wie alle immer behaupten …«
    Sie war am gleichen Tisch wie Bosse vom
Konkurrenten
platziert gewesen. Sie kannten sich schon, waren sich unter anderem auf Schloss Yxtaholm begegnet, als sie beide über den Mord an Michelle Carlsson berichteten. Sie hatten sich unterhalten, sich vergnügt und berührt und einander zugeprostet.
    »Stimmt es, dass die Journalisten immer hinter den Pfeilern sitzen müssen, sodass sie nichts sehen können?«
    Annika nickte.
    »Ja, dreieinhalb Stunden, und wir hatten keine Ahnung, was am Ehrentisch vonstatten ging. Ihr habt im Fernsehen vermutlich wesentlich mehr mitbekommen als wir. Sonst noch Fraugen?«
    »Hast du wirklich den Mord gesehen?«
    Sie holte Luft und versuchte sich zu sammeln.
    »Den oben im Goldenen Saal, aber da ist nur von Behring gestorben.«
    Sie verstummte, dachte an die klaren Augen der Frau, ihren Körper, der vollkommen reglos dalag.
    »Ich sah, wie sie getroffen wurde, und dann bin ich neben ihr hingefallen …«
    Ihre Stimme brach, und ein Laut stieg aus ihrer Kehle auf, ein kleiner Schluchzer, den sie geniert mit einem Schluck Kaffee überspielte.
    »Aber die Mörderin habe ich in diesem Augenblick nicht gesehen, und auch nicht, wie sie geschossen hat.«
    Jansson zündete sich eine neue Zigarette an.
    »Wie konntest du dann ein Phantombild erstellen?«
    »Ich bin ein paar Sekunden vor dem Schuss mit ihr zusammengestoßen, sie ist mir auf den Fuß getreten.«
    Annika stellte den Plastikbecher auf den Boden und zog sich den rechten Stiefel aus. Durch den Nylonstrumpf leuchtete ein blaulila Bluterguss in der Größe eines Fünfkronenstücks.
    »Oh, Scheiße«, sagte Jansson.
    »Sie werden das Bild im Laufe des Morgens freigeben, ihr solltet ein Auge darauf haben, sie wollten es nur erst noch mit ein paar anderen Zeugen abstimmen.«
    »Wie machen die das eigentlich? Sitzt da einer und zeichnet?«
    Annika spürte, wie ihre Schultern sich entspannten und zum ersten Mal in dieser Nacht sanken.
    »Es wird alles digital gemacht. Man sitzt im alten Polizeipräsidium in der Kungsholmsgatan in einem normalen Büro mit drei Computern. Sie fangen immer mit dem an, der die besten Informationen hat, der ihrer Einschätzung nach am meisten gesehen hat. Wenn man alles erzählt hat, muss man die ganze Sache noch einmal von hinten durchgehen. Dabei kommen ganz andere Sachen zutage. Wenn man chronologisch erzählt, sucht man nämlich nach Dingen, die zusammenhängen, um den Ereignisverlauf voranzutreiben …«
    Sie merkte, dass sie plapperte, aber sie konnte nichts dagegen tun, die Worte strömten aus ihr heraus, als wären sie die ganze Nacht aufgestaut gewesen. Jansson hörte zu und nickte und rauchte, und sie spürte, wie gut das tat.
    »Ich konnte eine halbe Stunde nach draußen gehen und einen Kaffee trinken, und als ich wieder reinkam, hatte der Polizist am Computer ein Bild entworfen. Dann sollte ich sagen, was am wenigsten stimmte. ›Die Frisur‹, habe ich gesagt, und da hat er gelacht und gesagt, dass neun von zehn Frauen als Erstes sagen, dass die Frisur nicht stimmt. Dann sollte ich korrigieren. Solange ich noch etwas sah, was nicht

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