Noble House 02 - Gai-Jin
Scheide, rief: »Sonno-joi!« und hieb mit aller Kraft zu. Gleichzeitig stürzte sich der andere auf Struan.
Der Hieb trennte Canterburys rechten Arm unmittelbar über dem Bizeps ab und schlitzte seine Seite auf. Ungläubig starrte der Kaufmann auf den Stumpf, aus dem das Blut spritzte und das junge Mädchen besudelte. Wieder wurde das Schwert in blindwütigem Bogen geschwungen. Struan tastete hilflos nach seinem Revolver, als ihn der andere Samurai mit hoch erhobener Klinge angriff. Eher aus Zufall als mit Absicht drehte er sich blitzschnell aus dem Bereich des Schwertstreichs, der ihn leicht am linken Bein verwundete und dem Pferd in die Schulter drang. Das Pferd wieherte auf, stieg erschrocken und schleuderte den Mann zur Seite. Struan zielte und schoß mit dem kleinen Colt, aber das Pferd stieg abermals, und die Kugel pfiff wirkungslos durch die Luft. Krampfhaft versuchte er das Tier ruhig zu halten und noch einmal zu zielen, ohne zu merken, daß ihn nunmehr der erste Mann von seiner blinden Seite her anzugreifen versuchte.
»Vorsiiicht!« kreischte Tyrer, der endlich wieder zum Leben erwachte. Alles hatte sich so blitzschnell abgespielt, daß er fast glaubte, er bilde sich das Ganze nur ein – Canterbury, der sich vor Schmerzen auf dem Boden wand, sein Pferd in voller Flucht, das junge Mädchen gelähmt vor Schreck im Sattel, Struan, der zum zweitenmal mit der Waffe zielte, und das tödliche Schwert hoch erhoben über seinem ungeschützten Rücken. Er sah, wie Struan auf seinen Warnruf reagierte, das vor Angst rasende Pferd bei seiner Berührung scheute und der Hieb, der ihn hätte töten können, irgendwie vom Zügel oder Sattelknauf abgelenkt wurde und ihm in die Seite drang. Struan schwankte im Sattel und stieß ein lautes Schmerzgeheul aus.
Das elektrisierte Tyrer. Er setzte seine Sporen ein und stürmte Struans Angreifer entgegen. Der Mann sprang unbeschadet zur Seite, entdeckte das junge Mädchen und lief mit hoch erhobenem Schwert auf sie zu. Tyrer, der seinem verängstigten Pferd die Sporen gab, sah plötzlich, daß Angélique dem herannahenden Samurai vor Schrecken erstarrt entgegenblickte. »Fliehen Sie, holen Sie Hilfe!« schrie er und versuchte den Mann von neuem zu rammen, der sich abermals zur Seite warf, flink und geschickt Fuß faßte und mit gezücktem Schwert in Angriffsposition stehenblieb.
Der Ablauf der Zeit verlangsamte sich. Phillip Tyrer wußte, daß er tot war. Aber das schien keine Rolle zu spielen, denn in diesem kurzen Augenblick sah er, wie Angélique ihr Pferd herumwarf und unverletzt davonjagte. Er hatte seine Derringer vergessen. Für ihn gab es weder Raum noch Zeit genug zur Flucht.
Einen Sekundenbruchteil lang zögerte der junge Samurai, genoß den Moment des Tötens – und sprang zu. Hilflos versuchte Tyrer zurückzuweichen. Dann erfolgte die Explosion, die Kugel schleuderte den Mann zu Boden, das Schwert verfehlte sein Ziel, verletzte Tyrer zwar am Arm, schlug ihm aber keine ernsthafte Wunde.
Einen Moment vermochte Tyrer nicht zu glauben, daß er noch lebte; dann sah er, wie Struan, dem das Blut aus der Wunde in seiner Seite floß, im Sattel herumfuhr und die Waffe auf den anderen Samurai richtete, während sein vor Angst rasendes Pferd bockte und stieg.
Wieder drückte Struan ab, die Waffe direkt neben dem Ohr des Pferdes, das durch die Explosion in Panik geriet und so verängstigt davonjagte, daß Struan sich kaum im Sattel zu halten vermochte. Als der Samurai ihn einzuholen versuchte, nutzte Tyrer diese Chance, um seinem Pferd die Sporen zu geben, die Straße hinter sich zu lassen und den beiden in nördlicher Richtung zu folgen.
»Sonno-joiiii!« schrie ihnen der Samurai nach, erzürnt, daß sie ihm entkommen waren.
John Canterbury lag im Dreck, vor Schmerzen gekrümmt und stöhnend, nicht weit entfernt von einigen vor Entsetzen erstarrten Passanten, die noch immer mit tief geneigtem Kopf auf dem Boden knieten. Wütend versetzte der junge Samurai Canterburys Zylinder einen Tritt und enthauptete den Kaufmann mit einem einzigen Hieb. Dann reinigte er seine Klinge sorgfältig am Gehrock des Toten und steckte sie in die Scheide zurück.
Ständig zog währenddessen die Kolonne vorbei, als sei nichts geschehen, mit tausend Augen, die alles wahrnahmen und doch nichts sahen. Und auch von den Passanten hob kein einziger den Kopf.
Der andere junge Samurai saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, hielt sich die Schulter und versuchte, während das Schwert noch blutig
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