Noble House 02 - Gai-Jin
Ihrer Britischen Majestät verhalten.«
Babcott war Sir Williams Stellvertreter. So beorderte er den Gesandtschaftskutter über die Bucht nach Yokohama, um Alarm zu schlagen, schickte einen chinesischen Dienstboten den Gouverneur holen und einen anderen, in Erfahrung zu bringen, welcher Daimyo oder Fürst vor ein paar Stunden durch Kanagawa gezogen war, versetzte das sechs Mann starke Militärdetachement in Alarmbereitschaft und schenkte Tyrer einen großen Whisky ein. »Trinken Sie, das ist Medizin. Wie Sie sagten, haben die Mörder Ihnen etwas zugerufen?«
»Ja. Es klang etwa wie ›sonoh… sonnoh-ii‹.«
»Das sagt mir nichts. Machen Sie’s sich bequem, ich bin gleich wieder zurück, muß mich nur fertigmachen.« Damit ging er hinaus.
Tyrers Arm mit seinen sieben Nähten schmerzte stark. Obwohl Babcott äußerst geschickt gearbeitet hatte, war es Tyrer schwergefallen, nicht aufzuschreien. Aber er hatte es nicht getan, und das befriedigte ihn ungemein. Was ihn erschreckte, waren die Angstschauer, die ihn immer noch überliefen und ihn wünschen ließen, davonlaufen zu können. »Du bist ein Feigling«, murmelte er, entsetzt über diese Selbsterkenntnis.
Wie der Operationsraum stank auch das Vorzimmer so stark nach Chemikalien, daß ihm übel wurde. Er trat ans Fenster, atmete tief durch und versuchte vergeblich, einen klaren Kopf zu bekommen; dann trank er einen weiteren Schluck Whisky. Wie immer wirkte der Geschmack scharf und unangenehm auf ihn. Er starrte ins Glas. Schlimme Bilder, die er dort sah, sehr schlimme. Ein Schauer überlief ihn. Er zwang sich, nur die Flüssigkeit zu sehen. Sie war goldbraun, und der Duft erinnerte ihn an sein Zuhause in London, an den Vater, der nach dem Dinner mit seinem Glas vor dem Kaminfeuer saß, während die Mutter zufrieden strickte, zwei Dienstboten den Tisch abräumten und alles warm, gemütlich und sicher war; und er erinnerte ihn an Garroway’s, sein bevorzugtes Coffee House am Cornhill, warm, belebt und sicher, und an die Universität, aufregend und freundlich, aber sicher. Sicher. Sein ganzes Leben in Sicherheit – und nun? Wieder drohte die Panik ihn zu überwältigen. Herr im Himmel, was habe ich hier zu suchen?
Nachdem sie entkommen, aber immer noch nicht weit genug von der Tokaidō entfernt waren, hatte Struans durchgehendes Pferd plötzlich gescheut, weil sein halb durchtrennter Schultermuskel versagte, und Struan war zu Boden gefallen. Der Sturz verursachte ihm furchtbare Schmerzen.
Unter großen Schwierigkeiten und immer noch schwach vor Angst hatte Tyrer Struan auf sein eigenes Pferd geholfen, den größeren und schwereren Mann jedoch kaum im Sattel festzuhalten vermocht. Die ganze Zeit hatte er seine Aufmerksamkeit auf den allmählich verschwindenden Zug gerichtet und sich darauf gefaßt gemacht, daß jeden Moment berittene Samurai auftauchten.
»Können Sie sich festhalten?«
»Ich glaube schon.« Struans Stimme klang sehr schwach; er litt starke Schmerzen. »Angélique – ist sie entkommen?«
»Ja. Diese Teufel haben Canterbury umgebracht.«
»Das hab ich gesehen. Sind Sie… Sind Sie verletzt?«
»Nein, nicht richtig. Glaube ich wenigstens. Nur ein Ritzer am Arm.« Als Tyrer sich den Rock herunterriß, fluchte er vor Schmerz. Die Wunde war ein sauberer Schnitt im fleischigen Teil des Unterarms. Mit einem Taschentuch tupfte er sich das Blut ab, dann benutzte er es als Verband. »Keine Venen oder Arterien verletzt – aber warum sind die so über uns hergefallen? Warum? Wir haben ihnen doch nichts getan.«
»Ich… Ich kann mich nicht umdrehen. Der Bastard hat mich an der Seite erwischt… Wie… Wie sieht es aus?«
Mit äußerster Vorsicht zog Tyrer den Riß in dem wollenen Gehrock auseinander. Die Länge und Tiefe des Schnitts, durch den Sturz noch verschlimmert, erschreckte ihn. Aus der Wunde floß rhythmisch pulsierend Blut und verängstigte ihn noch mehr.
»Nicht so gut. Wir sollten möglichst schnell einen Arzt aufsuchen.«
»Wir sollten… Wir sollten lieber nach Yokohama zurückreiten.«
»Ja. Ja, vermutlich.« Der junge Mann hielt Struan fest und versuchte, klar zu denken. Die Leute auf der Tokaidō zeigten auf sie. Seine Besorgnis wuchs. Kanagawa lag in der Nähe; er konnte mehrere Tempel sehen. »Einer davon muß unserer sein«, murmelte er, einen widerlichen Geschmack im Mund. Dann sah er, daß seine Hände mit Blut bedeckt waren, und sein Herz begann wieder vor Angst zu rasen. Doch als er merkte, daß es zum größten Teil
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