Noch ein Tag und eine Nacht
wurde, war das Fahrrad eine gute Lösung.
Nur ein winziges Stück Leben hatten wir gemeinsam verbracht, doch das war voller Gefühle gewesen. Wenn ich morgens aufwachte, malte ich mir aus, wie sie schlafend in ihrem Bett lag, bei ihr war es ja noch mitten in der Nacht. Am anderen Ende der Welt. Dabei hatte ich stets einen leuchtenden Körper vor Augen. Das war mein Bild von Michela. In ihr hatte ich so viel von mir selbst entdeckt, dass es jammerschade gewesen wäre, wenn ich nicht nach New York gefahren wäre. Für einen Augenblick hatte ich alle Sorgen meines Lebens vergessen.
Um Michela zu vergessen, ging ich mit anderen Frauen aus. Ein Keil treibt den anderen, wie gehabt. Aber es funktionierte nicht, im Gegenteil, es hatte sogar den gegenteiligen Effekt. Deshalb machte ich mir langsam Sorgen. Je öfter ich mit anderen ausging, desto mehr musste ich an Michela denken. All diese Frauen hinterließen in mir eine unendliche Leere. Mit ihnen stellte sich nichts von dem ein, was ich mit ihr erlebt hatte. Sie konnten noch so schön, sympathisch und intelligent sein, mit ihnen fand ich einfach nicht, was ich mit ihr gefunden hatte, einen Ort, der nur uns beiden gehörte.
Mit Michela war alles leicht gewesen, bei ihr musste ich nicht… ich musste gar nichts. Das war’s, bei ihr musste ich gar nichts. Punkt. Schwer zu erklären. Einmal schlug ich einer dieser Frauen sogar eine Beziehung auf Zeit vor, aber es kam mir wie ein Verrat vor. Als wäre dieses Spiel nur für Michela und mich reserviert. Dabei war das Gegenteil der Fall, alles, was ich von ihr gelernt hatte, konnte man im Leben verwenden. Ich musste an all meine Freunde denken, die sich Monate, manchmal jahrelang mit jemandem treffen, dann schlafen sie einmal zusammen, und das war’s. Dagegen ist doch eine kurze, intensive Beziehung mit klarem Ende viel besser. Mit Michela hatte ich es geschafft, aber mit anderen gelang es mir nicht. Ich war in einer Zwickmühle. Mit ihr konnte ich nicht zusammen sein, aber mit den anderen auch nicht. Ich fühlte mich wie damals als Kind, als ich im Schwimmbad auf das Drei-Meter-Brett geklettert war und mich oben der Mut verlassen hatte. Zurück konnte ich aber nicht, weil die Treppe hinter mir voller Kinder war. Und alle warteten darauf, dass ich endlich sprang. Hiiiilfe!
Vielleicht brauchte ich mehr Zeit. Es war, wie wenn man in die Sonne guckt, und danach hat alles einen schwarzen Rand. So erging es mir mit ihr. In allem, was mir begegnete, sah ich ihr Spiegelbild. Michela war überall, in den Brotkrümeln auf dem Tisch, in der kurzen Stille nach einem Gelächter, im langsamen Drehen der Reifen, wenn ich mein Fahrrad die Treppe hinauftrug, Michela war eine erotische Phantasie beim Kaffeetrinken.
Ich erlebte erneut, wie es ist, morgens neben einer Frau aufzuwachen und sie abstoßend zu finden. Nach dem Sex so erschöpft zu sein, dass einem die Kraft fehlt, ihr klarzumachen, dass sie gehen soll. Dann schläft man nackt ein, und morgens klebt das Laken am Pimmel. Unerquicklich. Manchmal reichte schon ein Haar oder der Duft einer Unbekannten auf dem Kopfkissen. Es ist grauenhaft, wenn man sich zu einem solchen Leben zwingt. Im Übrigen hatte ich schon immer ein merkwürdiges Verhältnis zu Frauenhaaren. Solange sie am Kopf sind, finde ich sie faszinierend, aber wenn sie ausfallen, finde ich sie widerlich.
Neben einer Frau aufzuwachen, die einem nichts bedeutet, ist wirklich unerfreulich und schäbig. Vor allem sonntags, wenn dazu noch die Panik kommt, vielleicht den ganzen Tag mit ihr verbringen zu müssen. Einmal habe ich einfach so getan, als müsste ich zur Arbeit. Ich zog mich an, ging mit ihr nach unten, verabschiedete mich, umrundete das Haus und legte mich dann wieder ins Bett. Absurd… Als ich jünger war, hat mich eine Frau sogar einmal beim Aufwachen mit ihrem Portemonnaie in der Hand erwischt und ist schreiend davongelaufen, weil sie glaubte, ich wolle sie bestehlen. Ich hatte keine Chance, ihr zu erklären, dass ich nur nach ihrem Ausweis gesucht hatte, um ihren Namen zu erfahren. Oder wenn mir eine ihre Telefonnummer geben wollte und ich nicht wusste, unter welchem Namen ich sie speichern sollte, dann sagte ich: »Kannst du das bitte für mich machen?« Und wenn sie dann weg war, ging ich die Liste durch, um den neuen Namen zu suchen.
Eines Morgens schaute ich aus dem Badezimmerfenster und stellte fest, dass im Innenhof, in dem ich Monate zuvor meinen Engel im Schnee hinterlassen hatte, die Blumen in voller
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