Noch ein Tag und eine Nacht
behalten oder wegwerfen.«
»Ich möchte nur die Ohrringe, sonst nichts. Wieso kaufst du eine neue Küche, war die alte nicht mehr in Ordnung?«
»Doch, die war schon noch in Ordnung, aber sie war schon alt, es war an der Zeit, sie auszuwechseln.«
Stille. Eine beredte Stille.
Es ist schwer, die Einsamkeit der anderen zu verstehen, doch ich glaube sagen zu können, dass mich die Einsamkeit in meinem Leben eher gestärkt hat, während meine Mutter schwer darunter gelitten hat. Obwohl sie später noch mit einem anderen Mann zusammen war. Es ist sicher nicht leicht, das Trauma, von einem Mann verlassen zu werden, zu überwinden, aber ich weiß auch, dass viele unserer Probleme mit dem Charakter meiner Mutter zusammenhingen, mit ihren Reaktionen.
»Willst du dich nicht kurz setzen, Mama?«
»Moment, ich will nur noch die Teller wegräumen…«
»Bitte, das kannst du doch später machen.«
Sie blieb stehen, sah mich einen Augenblick an, versuchte krampfhaft, nicht mehr an die Teller zu denken, und setzte sich. Als ich sie so dasitzen sah, wurde mir klar, dass ich ihr gegenüber die Waffen strecken musste. Natürlich war das keine plötzliche Eingebung, mit dem Gedanken hatte ich schon länger gespielt. Ich hatte nur auf die richtige Gelegenheit gewartet, und die schien mir jetzt gekommen.
»Was gibt’s denn?«
»Es tut mir leid, Mama, es tut mir wirklich leid.«
»Ich weiß, mir auch… aber in dem Alter muss man früher oder später damit rechnen.«
»Ich rede nicht von Oma, ich rede von uns, von dir und mir.«
Sie sagte nichts. Ein paar Sekunden sahen wir uns an, direkt in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken. Seit Jahren hatte ich meine Mutter nicht mehr so angesehen, genau genommen eigentlich noch nie. Sie hatte sich stark verändert.
»Es tut mir leid, wie die Dinge gelaufen sind. Wie dein Leben verlaufen ist… und meins auch. Eigentlich hätten wir etwas Besseres verdient gehabt.«
»Ja, ja, aber was hat das jetzt damit zu tun? Mir tut es auch leid, aber manchmal ist es eben so. Ich weiß, dass ich dir eine schlechte Mutter war, Giacomo.«
»Fang nicht wieder so an, Mama. Versteck dich nicht wieder hinter diesen Floskeln.«
»Ich soll mich verstecken?«
»Ja, wenn du so redest, versteckst du dich und weichst aus. Du warst keine schlechte Mutter. Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen. Ich will damit sagen, es war halt, wie es war, aber jetzt, allmählich…«
Eigentlich hätte ich sagen wollen: »Allmählich möchte ich wieder auf dich zugehen.« Aber ich schaffte es nicht. Trotzdem war klar, was ich meinte.
Kurzes Schweigen. Wir führten die Tasse an den Mund. Als sie ihre wieder abgesetzt hatte, sagte sie: »Weißt du, was Oma neulich zu mir gesagt hat? Ich wäre nie unbeschwert gewesen, immer irgendwie angestrengt.«
Wir mussten beide grinsen.
»Es tut mir leid, Mama, ich konnte nicht anders. Um zu überleben, musste ich weg von dir, von dem Menschen auf der Welt, den ich am meisten geliebt habe. Ohne dich konnte ich nicht leben, aber mit dir auch nicht.«
»Es war richtig, dass du gegangen bist. Das habe ich doch verstanden. Stell dir mal vor, das habe selbst ich verstanden, das will schon etwas heißen.«
»Um zu überleben, musste ich einfach von dir loskommen. Was ihr mir vorgelebt habt, du und Papa, erst er, dann du, war, dass es einem schlechtgeht, wenn man sich auf eine Beziehung einlässt. Deshalb war es mir jahrelang unmöglich, eine intime Beziehung zu einer Frau einzugehen.«
»Glaubst du denn, mir wäre es leichtgefallen? Plötzlich stand ich mutterseelenallein da. Ich habe getan, was ich konnte.«
»Keiner braucht sich zu entschuldigen. Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leidtut, dass ich weggegangen bin, ohne dir zu erklären, warum ich das tun musste. Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht und verletzt habe, dass ich dir nicht wirklich helfen konnte. In letzter Zeit habe ich einiges verstanden, unter anderem, was als Kind in mir vorging. Aber erst jetzt, nach so langer Zeit. Ich hab oft darüber nachgedacht, was mir eigentlich gefehlt hat. Du warst so überfürsorglich, so darauf bedacht, dass es mir an nichts fehlte, dass mir am Schluss die Luft zum Atmen fehlte und vor allem die Möglichkeit, Fehler zu machen. Und auch wenn wir uns jetzt nicht mehr sehr nahestehen, wollte ich dir sagen, dass ich in letzter Zeit gelernt habe zu lieben, und ich möchte, dass auch du an dieser Liebe teilhast. Das ist alles.«
Während ich redete, sah ich, wie meiner
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