Noch einmal leben
Klaren Lichts der Puren Realität. Erkenne es. 0 Wohlgeborener, dein gegenwärtiger Verstand, in seiner realen, unverfälschten und natürlichen Form, ungeformt nach Charakter oder Farben, die unverfälschte, natürliche Form ist die wahre Realität, der alles beherrschende Gott. Dein eigener Verstand, der jetzt unverfälscht ist, obwohl man die Unverfälschtheit nicht als Unbehauenheit mißverstehen darf, sondern als reines Wesen, das Wesen des Verstandes selbst, als unversperrter, leuchtender, durchdrungener und gesegneter Verstand, ist das wahre Bewußtsein, ist der allmächtige Gott, ist Buddha.
Sauberkeit: Noyes stellte sich eine Minute unter die Vibratordusche.
Ernährung: Er programmierte ein bescheidenes Frühstück.
Körperertüchtigung: Ein wenig ächzend machte er die vorgeschriebenen elf Streckübungen und sieben Rumpfbeugen.
Er aß. Er zog sich an. Es war zehn Uhr morgens. In der Nacht zuvor war er mit Roditis aus San Francisco zurückgekehrt, und seine innere Uhr richtete sich immer noch nach der Pazifik-Zeit. Das machte das Aufwachen noch schwieriger, als es ohnehin schon war. Noyes aktivierte das Fenster und sah eine freundliche und sonnige Welt: der schwache Aprilsonnenschein wärmte sie ein wenig. Verschwunden war das fahle Winterlicht, das diesen Teil der Welt so lange beherrscht hatte. Noyes bewohnte eine kleine Wohnung im Wallingford-Distrikt in Greater Hartford, Connecticut, ziemlich nahe an Manhattan wie auch an seinem Geburtsort Boston gelegen. Er versuchte, sich von Massachussetts fernzuhalten, aber tiefverwurzelte Zwänge trieben ihn immer wieder periodisch dorthin zurück. Nur einer dieser Zwänge kam von außen: Roditis bestand nämlich darauf, daß die beiden alljährlich am Klassentreffen der Harvard-Absolventen teilnahmen. Und diese bereiteten Noyes Pein.
Jeder Blick zurück in die Vergangenheit war mit Pein verbunden. Alles, was ihn an seine Jugend erinnerte, als er sich noch Hoffnungen auf die Zukunft gemacht hatte: eine ordentliche Karriere, eine glückliche Ehe, ein schönes Heim und die Freude auf alle Annehmlichkeiten des Familienreichtums. Er hatte sein Jurastudium verbockt und auch mit seiner Ehe Mist gebaut. Heute war er kein armer Mann, aber nur, weil Roditis ihn aus dem Dreck gezogen, ordentlich Geld in seine Taschen gestopft und dafür seine Seele gekauft hatte. Noyes besaß ein ansehnliches Konto, aber er gab nur wenig Geld aus und lebte in einer Art vornehmer Armut – nicht etwa, weil er geizig war, sondern einfach weil er es immer noch nicht glauben konnte, daß der Reichtum Wirklichkeit war, den Roditis über ihn ergossen hatte.
„Charles! Charles, bist du endlich aufgestanden?“
- Die Stimme seines Herrn, stichelte Kravchenko.
„Hier bin ich, John“, rief Noyes ins andere Zimmer, während er einen wütenden Schrei an das eingepflanzte Bewußtsein schickte. „Ich komme!“
Eine ganze Wand im Wohnzimmer wurde von einem Bildschirm eingenommen, der direkt an Roditis’ zentrales Kommunikationssystem angeschlossen war. Ganz gleich, wo Roditis auch stecken mochte, er konnte diese Zentralanlage von jedem seiner zahlreichen Stützpunkte aus aktivieren und lebensgroß und dreidimensional in Noyes’ Wohnzimmer erscheinen. Noyes baute sich vor dem Bildschirm auf und präsentierte sich der bulligen Gestalt seines Freundes und Brötchengebers. Am Mobiliar, das ihn umgab, erkannte Noyes, daß Roditis sich in seinem Büro in Jersey City aufhielt: Telexe, Computer, Datenspeicher und das gewaltige grüne Auge eines Analysegeräts. Roditis sah hellwach aus. Er sagte: „Na, geht’s besser?“
„Es geht, John.“
„Du hast einen miserablen Eindruck gemacht, als wir gestern nacht zurückgeflogen sind. Ich habe mich um dich gesorgt.“
„Jetzt hab’ ich ja eine Nacht durchgeschlafen. Mehr fehlte mir nicht.“
„Der Bankauszug von meinem Geschenk an das Kloster ist gerade gekommen. Wollen doch mal sehen, was der gute Guru zu sagen hat.“
„Das kann ich mir denken.“
Roditis gab ein Zeichen. Sein Bild verzerrte sich und verschwand. Einen Moment lang bedeckte wolkiges Blau den Bildschirm. Danach ertönte kurz und scharf das Einschnappen der Leitungsverbindung, dem endlich der heilige Mann aus San Francisco folgte. Er erschien auf dem Bildschirm in Noyes Wohnzimmer. Noyes kam es so vor, als könne er Weihrauch riechen. Das Gesicht bestand nur aus Lächeln. Unablässig floß ein Strom honigsüßer Preisungen und Danksagungen über Roditis großzügiges Geschenk
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