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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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übertragen werden.“
    „Als ob er von dem Gesetz nichts gewußt hätte“, sagte Kaufmann.
    „Oder als ob er erwartete, daß jemand wie du das Gesetz umgehen würde.“
    Kaufmann errötete. „Dann sag mir doch, wem du ihn wirklich geben willst? Roditis? Steck die beiden zusammen, und sie stehlen das Universum!“
    „Roditis kann mit dem Bewußtsein deines Onkels fertig werden“, sagte Santoliquido. „Er verfügt über die starke Persönlichkeit, die dazu erforderlich ist. Und wir dürfen Paul keinesfalls an jemanden geben, den er sofort überwältigt. Die Wirtsperson muß immer die Oberhand behalten. Und bei Roditis ist das gewährleistet.“
    „Aber er kennt keine Skrupel. Er ist ein unmoralischer Freibeuter. Paul war auch ein Freibeuter, aber er hatte Grundsätze. Steck die zwei zusammen und …“
    „Bislang ist noch keine Entscheidung gefallen“, sagte der Direktor brüsk. „Möchtest du jetzt die drei Identitäten kennenlernen, die deine Tochter ausgesucht hat?“
    „Ja“, murmelte Kaufmann. „Warum nicht?“
    Santoliquido ging zu einem Computer und gab dort seine Wünsche an. Einige Augenblicke später erschienen drei Bewußtseinskassetten im Ausgabefach. Der Direktor legte Paul Kaufmanns Kassette in dasselbe Fach und schickte sie zurück ins Lager. Dann drehte er sich um und sagte: „Diese drei jungen Frauen sind nicht eines natürlichen Todes gestorben. Keine erreichte die Dreißig. So weit ich da Einblick habe, waren alle drei recht hübsch. Risa hatte sehr konkrete anatomische und sexuelle Vorstellungen, denen wir natürlich entsprechen konnten, da unser Vorrat an Identitäten riesengroß ist. Um die Privatsphäre der Toten zu schützen, nenne ich sie einfach X, Y und Z. Dreißig Sekunden von jeder sollten genügen, deine Neugierde zu befriedigen. Hast du schon einmal ein weibliches Bewußtsein kennengelernt, Mark?“
    „Du weißt genau, daß ich so etwas noch nie getan habe.“
    „Natürlich, klar doch. Nun, es ist eine ganz reizvolle Erfahrung. Ich denke oft, unsere Vorbehalte gegen transsexuelle Transplantationen entspringen schlichter Dummheit. Wenn ein Mann wenigstens ein weibliches Bewußtsein in sich trägt und jede Frau wenigstens ein männliches, gäbe es sicher weit weniger Schmerz und Pein auf der Welt. Aber ich fürchte, wir sind noch nicht reif für einen solch radikalen Schritt. Und ich fürchte auch, nur sehr wenige Menschen würden erlauben, daß ihr Bewußtsein in einem Körper anderen Geschlechts weiterlebt. Klar, versuchen möchte es jeder einmal; ein paar Tage zumindest, aber für immer …“ Während er redete, legte er gewandt eine von Risas möglichen Gastidentitäten ins Gerät. Wieder senkten sich die Elektroden auf Kaufmanns Schädel hinab. Mark war sich irgendwie nicht ganz sicher, warum er das tat. Aber dann sagte er sich, daß seine exhibitionistisch veranlagte Tochter wohl kaum etwas dagegen haben würde, wenn er sich vorab ihre neue Bewußtseinsinhalte zu Gemüte führte. Und außerdem hatte Kaufmann Risa schon oft bei Dingen nachspioniert, die fast genauso intim waren.
    Das Gerät begann zu summen.
    „Dies ist X“, sagte Santoliquido. „Kam letztes Jahr bei einem Skiunfall in St. Moritz ums Leben. Alter: vierundzwanzig Jahre.“
    In den folgenden dreißig Sekunden erfuhr Mark Kaufmann eine ganze Menge überraschender Dinge. Er entdeckte das Gefühl, Brüste zu haben und das Gefühl, mit einem Mann zu schlafen; er spürte, wie die weibliche Biologie auf sich einwirkte; er roch den neuen Duft weiblichen Fleisches; er wurde gewahr, wie weich sich ein weiblicher Körper anfühlte. Außerdem entwickelte er spontan und wie elektrisiert eine Abneigung gegen die ihm unbekannte Person X.
    Ohne ihm eine Pause zum Ordnen seiner Eindrücke zu geben, sagte Santoliquido: „Und jetzt Y. Letzten Sommer bei Macao ertrunken. Alter: achtundzwanzig Jahre.“
    Mehr von der gleichen Art: das langsame Pulsieren des Fleisches, das leichte Zittern der Vagina. In seinem kurzen Kontakt mit dem Bewußtsein des toten Mädchens fuhr Kaufmann mit imaginären Händen über ebenso imaginäre seidige Schenkel, gähnte, streckte sich und schmachtete nach Genüssen. Dieser Geist war wesentlich entspannter als der von X. In jenem ersten Bewußtsein hatte ein beunruhigender Unterton mitgeklungen, ein Verlangen nach einer nicht näher bestimmten Rache. In diesem Mädchen dagegen steckte nur ein allgemeines Verlangen nach Befriedigung, das weitaus weniger intensiv und weniger lebendig war.

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