Noch einmal leben
ausmachen. Alles war hell, glänzte und strahlte. Die Fliesen blitzten, und selbst die Luft schien antiseptisch. An diesen Ort begab man sich, um den eigenen Anspruch auf Unsterblichkeit zu erlangen. Die fröhliche Ausstrahlung des Orts spiegelte sich in der Stimmung derjenigen wider, die reich und entschlossen genug waren, ihr Bewußtsein für kommende Generationen zu erhalten.
Mark Kaufmann war schon oft hier gewesen. Er hatte seine Spur in Form von Aufzeichnungen hinterlassen, die bis zum jugendlichen, ruhelosen und ambitionierten Mark in seinen Zwanzigern zurückreichten. Und wie er jetzt wußte, existierten all diese Aufzeichnungen noch an einem abgelegenen, aber zugänglichen Ort. Ein Biograph konnte, wenn er nur wollte, die Entwicklung des Mark Kaufmann Stufe für Stufe zurückverfolgen, von seiner Jugend bis heute, zum gestandenen Mann. Jetzt würde der jüngste Mark diesem geheimen Lager hinzugefügt werden. Da er sehr nachlässig mit der Aufnahme seines Bewußtseins umgegangen war, standen nun die Erfahrungen fast eines ganzen Jahres bereit, um auf Band aufgenommen zu werden. Das vergangene Jahr war ereignisreicher als üblich gewesen. Höhepunkte darin waren der Tod von Onkel Paul, das zunehmend sich schwieriger gestaltende Verhältnis zu seiner Tochter, sein häufiges Zusammensein mit Elena und jetzt, in den letzten Stunden vor der Aufzeichnung, dieses Quartett neuer Erfahrungen: der Moment des Eindringens in das Bewußtsein seines Onkels und die drei Kostproben weiblicher Seelen. Diese jüngsten Ereignisse waren in seinem Innenleben noch besonders lebendig. Sie würden in Kürze zum potentiellen Besitz eines zukünftigen Empfängers seines Bewußtseins gehören.
„Wollen Sie sich bitte hier hinlegen?“ sagte Donahy.
Kaufmann gehorchte. Der Scheffing-Prozeß bestand aus zwei Phasen: Aufnahme und Transplantation. Die Aufzeichnungsphase war das einfachste auf der Welt. Die Summe des menschlichen Innenlebens – Hoffnungen und Bemühungen, Rückschläge und Triumphe, Schmerzen und Freuden – besteht aus nichts anderem als einer Serie magnetischer Impulse. Einige davon werden von Getöse überlagert, andere sind klar und deutlich zu erkennen. Der großartige Scheffing-Prozeß besorgte die mechanische Duplizierung dieses Gewirrs magnetischer Impulse auf Band. Sozusagen ein überspringender Funke: der rasche Flug eines Bewußtseins vom Kopf zum Band. Die Erfahrungen eines ganzen Lebens wurden in Informationsbits umgewandelt, Milliarden Bits pro Quadratmillimeter, alles auf einem Magnetband. Und zusätzlich wurden die Informationen, um sicherzugehen, auch auf Datenschreiber übersetzt und inskribiert. Was war schon dabei? Eine Transplantation bei der dieses Material in ein lebendes menschliches Gehirn übertragen wurde, war dagegen weitaus schwieriger und erforderte eine besondere chemische Präparierung des Empfängers.
Die Telemeter wurden angeschlossen. Kaufmann entdeckte über sich ein Bündel glänzender Spulen und Verstrebungen. Sensoren untersuchten seinen körperlichen Gesundheitszustand, durchleuchteten den Blutstrom in den Kapillaren seines Gehirns, spähten durch die Iris seiner Augen und zeichneten die Atmung, die Arbeit seiner Verdauungsorgane, sein Tastvermögen und die Erweiterung seiner Gefäße auf.
„Sie sind ziemlich lange nicht mehr bei uns gewesen“, bemerkte Donahy und machte eine Notiz in seine Unterlagen.
„Nein, wahrscheinlich bin ich zu beschäftigt gewesen.“
Der Techniker schüttelte den Kopf. „Zu beschäftigt, um das eigene Bewußtsein zu erhalten! Sie müssen ja wirklich viel um die Ohren gehabt haben. Sie könnten es sich doch nie verzeihen, wenn Sie eines Tages in einem fremden Bewußtsein aufwachten und feststellen müßten, daß ein großes Stück aus Ihrem Erinnerungsschatz fehlt.“
„Da haben Sie völlig recht“, sagte Kaufmann. „Man muß diese Möglichkeit nutzen, alles andere wäre eine große Dummheit.“
„Na ja, jetzt sind Sie ja bei uns wieder auf dem laufenden. Aber wir hoffen, daß Sie uns in Zukunft regelmäßiger aufsuchen. So, dann wollen wir mal. Heben Sie jetzt bitte Ihren Kopf ein wenig – ja, langsam …“
Der Helm saß nun richtig. Kaufmann wartete. Wie immer versuchte er, den Augenblick mitzubekommen, wo sein Geist sich vom Gehirn löste, sich auf dem Band verewigte und wieder auf seinen angestammten Platz zurückkehrte. Aber auch dieses Mal konnte er den Augenblick nicht lokalisieren. Seine Konzentration wurde von der Stimme des
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