Noch einmal leben
Ihre aufgezeichnete Seele blitzte nur kurz auf, lief aus und war schon wieder verschwunden.
„Z“, sagte Santoliquido, „sechsundzwanzig Jahre alt. Sprang von einem Wolkenkratzer oder wurde hinuntergestoßen.“
Gestoßen, das war Kaufmann schon kurz nach dem Kontakt mit Z klar. Das Mädchen war zu einem Selbstmord gar nicht fähig gewesen. Sie war sanft, passiv und sowohl äußerlich wie innerlich weich. Nun, da das Neue am Einblick in weibliche Seelen sich erschöpft hatte, entdeckte Kaufmann, daß Z ihn rasch zu langweilen begann. Sie war hohl, war nur eine Hülle. Die dreißig Sekunden zogen sich endlos lange hin.
„Möglicherweise wirst du heute abend ein Nachlassen deiner Potenz verspüren“, sagte der Direktor. „Ich glaube, ich hätte dich vorher warnen sollen. Es gibt da eine Art sexuelle Konfusion, die immer nach einer transsexuellen Erfahrung eintritt. Aber das vergeht nach einem Tag wieder. Na, wie hat es dir denn gefallen, eine Frau zu sein?“
„Interessant, aber nicht sonderlich ansprechend.“
„Nun, das waren junge, noch unreife Mädchen. Ich könnte dir ein weibliches Bewußtsein vorführen, dessen Charakter dich wirklich beeindrucken würde. Trotzdem sind die körperlichen Wahrnehmungen ungewöhnlich, nicht wahr? Du hättest dir sicher nie träumen lassen, wie anders die Welt aussieht, wenn man dem anderen Geschlecht angehört?“
„Ich bin froh, daß ich Gelegenheit dazu bekam. Ich kann allerdings nicht behaupten, eine der Alternativen meiner Tochter hätte einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht.“
„Welche sollte sie denn deiner Meinung nach auswählen? Du weißt, daß sie eine von den drei nimmt.“
Kaufmann nickte. „Z war nur eine dusselige Kuh. Risa würde sich in ihrer Gesellschaft genauso langweilen wie ich. Y war indifferent, lieb und wahrscheinlich eine gute Bettgefährtin. X dagegen war völlig abstoßend: bösartig, gemein, selbstsüchtig und unmenschlich. Risa würde wohl kaum so eine Hexe im Kopf haben wollen. Ich nehme an, Y ist das kleinste dieser drei Übel.“
„Sie wird X nehmen“, sagte Santoliquido.
„Hat sie dir das gesagt?“
„Nein, aber X liegt auf der Hand. Sie hat für Risa die richtige Kombination – selbstsicher und wollüstig. Warum mißfallt sie dir so?“
„Das kann ich nicht sagen. Ich weiß auch keinen konkreten Grund. Sie ist mir einfach unsympathisch. Wenn ich jetzt zurückdenke, kann ich mich an keinen bösartigen Gedanken von ihr erinnern – aber trotzdem verabscheue ich sie.“
„Wie schade“, sagte der Direktor. „Ab Donnerstag lebt sie in Risa weiter – es sei denn, ich habe daneben getippt. Möchtest du deine Einwilligung zur Transplantation zurückziehen?“
Kaufmann dachte darüber nach. Sicher, es lag in seiner Macht, Risa an der Übernahme eines solchen Bewußtseins zu hindern; aber im gleichen Moment wurde ihm auch die Zwecklosigkeit dieser Maßnahme bewußt. Bei einem Scheitern würde Risa einfach ihren Druck verstärken. Und sie würde bekommen, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Mark wußte, daß er sich nach der Transplantation mit einer neuen Risa abfinden mußte. Daher war es müßig, sie aufzuhalten und kontrollieren zu wollen.
Er winkte ab. „Laß sie tun, was sie will. Ich hoffe nur, sie nimmt Y.“
„Deine Hoffnung wird wohl enttäuscht werden“, sagte Santoliquido. Er sah auf die Armbanduhr. „Ich furche, ich muß dich jetzt allein lassen, Mark. Ich übergebe dich einem Techniker, der dafür sorgt, daß deine neuen Bewußtseinsaufzeichnungen sofort erledigt werden. Das ist schließlich der Grund, warum du heute gekommen bist – wenn ich mich recht erinnere.“
„Ja“, sagte Kaufmann teilnahmslos. „Diese ganzen Schnüffeleien waren nur der Appetitanreger. Wenden wir uns also dem eigentlichen Menü zu.“
Santoliquido führte ihm einen jungen, ernsten Techniker namens Donahy vor, dessen schwarzes Haar so dunkel war, daß es an einzelnen Stellen bläulich glänzte. Furchterregende buschige Augenbrauen zerschnitten die helle Stirn. Kaufmann verabschiedete sich von Santoliquido, dankte ihm für seine Hilfe und fügte hinzu, daß er sich schon auf seinen morgigen Besuch freue.
„Hier entlang, bitte“, sagte Donahy.
Schon nach kurzer Zeit war Kaufmann aus dem Lagerkomplex des Gebäudes heraus und befand sich wieder auf vertrautem Terrain: im öffentlichen Teil, wo die Aufzeichnungen gemacht wurden. Hier ließ sich der artifiziell düstere Schimmer der zentralen Lagerhalle nicht mehr
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