Noch einmal leben
Nähe vom Großen Barriere-Riff von einer Flutwelle ergriffen und auf das offene Meer hinausgetrieben worden. Seinen Leichnam hatte man nie gefunden. Zweifellos hatte er den Haien die Mägen gefüllt.
Aber wer hatte sein aufgezeichnetes Bewußtsein erhalten?
Darüber war hier nichts zu entdecken. Was die Behörden des Fürstentums anging, hatte Claude Villefranche seit dem Unfalltod am 18. Dezember als Person zu existieren aufgehört. Falls sein Bewußtsein mittlerweile einer Wiedererweckung zugeführt worden war, so kümmerte das die Behörden wenig – transplantierte Identitäten zahlten keine Steuern, wählten nicht und besaßen keine Pässe. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika war es möglich, Informationen über die Wanderschaft von Identitäten von einem Träger zum nächsten zu bekommen, aber nicht in Monaco.
„Was sollen wir jetzt tun?“ fragte Risa Tandy.
- Kann deine Familie nicht weiterhelfen?
„Natürlich, aber klar doch, das ist die Lösung!“ Risa eilte zu den Büros von Kaufmann & Cie. Es war ein vergoldetes Gebäude direkt unterhalb vom Hotel de Paris. Die Bank wurde offiziell vom europäischen Zweig der Kaufmann-Familie geleitet. Aber zur Zeit befand sich kein einziger der Familie im Management Die Direktoren wurden durchgehend von den Loebs und Schiffs gestellt. Dennoch konnte die einzige Tochter von Mark Kaufmann sicher sein, freundlich empfangen zu werden. Risa präsentierte sich züchtig und mädchenhaft gekleidet M. Pierre Schiff, der durch eine komplizierte genealogische Verästelung ihr Cousin war. Risa erklärte ihm ihr Problem.
Der Bankier war fünfzig, wohlbeleibt und strahlte Ruhe aus. Er war Risa gegenüber so höflich, sie in Englisch anzureden. Das Mädchen fühlte sich daraufhin verpflichtet, zu ihm in Französisch zu sprechen, was insgesamt eine recht merkwürdige Unterhaltung ergab.
„Ich kann mich an den Vorfall erinnern“, sagte der Bankier. „Es muß im letzten Winter gewesen sein. Ich glaube, er war Kunde unserer Bank.“
„Ich habe die Seelenbank in Paris um Auskünfte über Villefranche ersucht, aber man wollte mir kein Sterbenswörtchen verraten.“
„Haben Sie denn nicht Ihren Namen genannt?“
„Doch, aber das hat nichts bewirken können.“
„Lassen Sie es mich einmal versuchen“, sagte Pierre Schiff. Er ließ sich vom Amt mit einer bestimmten Telefonnummer verbinden. Den Bildschirm ließ er dunkel. Rasch wurde die Verbindung hergestellt. Schiff sprach ein rasches, undeutliches Französisch mit so leiser Stimme, daß Risa ihm nicht mehr folgen konnte. Seine schwabbelige Gesichtshaut verzog sich zu tiefen Falten. Schon wenige Augenblicke später ließ er den Hörer wieder auf die Gabel fallen.
Er sagte: „Das Bewußtsein von Claude Villefranche wurde im Februar aus dem Depot geholt und verpflanzt.“
„In wen?“
„Der Name war leider nicht zu erfahren. Selbst mir konnte oder wollte man das nicht sagen – selbst mir nicht.“ Er studierte seine Hand, so als hielte sie die Antwort bereit. „Diese Beamten dort sind ein recht verschwiegener Menschenschlag. Trotzdem gibt es Wege, auch mit ihnen zu Rande zu kommen. Sie benötigen nämlich ständig Kredite, um ihr Institut auszubauen, und wir …“ Er lächelte nur und sagte damit alles. „Mein Sohn wird Ihnen helfen. Ich werde ihn sofort verständigen.“
Eine Stunde später fand Risa sich auf einem großen Balkon wieder, von dem aus man einen guten Ausblick auf das Meer hatte. Sie speiste dort mit Jacques Schiff, der eigentlich auch ein Cousin von ihr war. Jacques hatte eine weniger beleibte Figur als sein Vater. Risa hatte die züchtige, mädchenhafte Bekleidung zugunsten eines Gewands gewechselt, das in Cousin Jacques Augen mehr Gefallen finden sollte: eine muschelförmige Sprayon-Bekleidung, die so aufgetragen war, daß sie ihre makellose Schulter, die kleine, feste Brust und ihre rundlichen Hüften betonte. Jacques Schiff war fünfundzwanzig, groß, attraktiv und unverheiratet. In seinen Augen glomm ein gallisches Funkeln, das noch heller als die Sonnenstrahlen war, die auf dem goldgelben Wein tanzten, den sie zu den Austern nahmen.
„Doch, ich kannte diesen Villefranche“, sagte er. „War er einer deiner Freunde?“
„Eher von meinem Fremdbewußtsein“, sagte Risa.
„Aha, ich verstehe. Glaubst du, ich kannte sie?“
„Ihr seid euch wohl nie vorgestellt worden. Falls doch, so kann sie sich nicht mehr an dich erinnern, ich bezweifle, daß sie dich hätte vergessen können
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