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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Eingangstür.
    Sein Aussehen überraschte völlig: von der Schlaffheit in Figur und Gesichtsausdruck auf der Photographie war keine Spur mehr übriggeblieben. Dieser St. John hier war äußerst selbstsicher, straff und dynamisch. Obwohl seine Augen wasserblau waren, wiesen sie Festigkeit und Glanz auf und brannten mit fiebriger Intensität. Seine Lippen waren fest, und die Muskeln hielten sie so im Gleichgewicht, daß ihre natürliche Fülle kaum noch zum Vorschein kam. Im Gesicht hatte er kaum überflüssiges Fett, auch am Körper war offensichtlich kein Gramm zuviel. Aber am Kinn und an den Lidern ließ sich noch erkennen, daß er früher einmal etwa vierzig Pfund schwerer gewesen sein mußte; die Haut hatte sich dort noch nicht völlig den veränderten Zügen angepaßt. Als Martin sich erhob, um Risa zu begrüßen, waren seine Bewegungen aggressiv und behende.
    Er gab Risa die Hand, umarmte sie aber nicht, wie es sonst die englische Art war. Sein Lächeln bestand eigentlich nur aus einem ständigen Zucken der Mundwinkel.
    Mit rauher Stimme sagte er: „Claude Villefranche sendet seine Grüße an Tandy Cushing.“
    Risa wurde durch diesen unkonventionellen Willkommensgruß verwirrt. „Schön, daß ich Sie endlich doch noch gefunden habe, Mr. St. John. Ich werde Sie auch nicht lange aufhalten.“
    „Was möchten Sie trinken?“
    „Können Sie mir etwas empfehlen?“
    „Es gibt hier einen exzellenten Punsch aus gefiltertem Rum. Ich bestelle zwei.“
    Risa sagte: „Sehr gern.“
    Er drehte sich auf dem Stuhl herum, um die Bestellung aufzugeben. Leider ließ sich kein Kellner blicken. Dann kam hinter einem Tisch aber doch einer hervor, anscheinend ohne St. John zu bemerken. Martin rief ihm etwas zu, wurde aber weiterhin ignoriert. Schließlich sprang er vom Stuhl auf und fuhr herum. Einen Moment lang wirkte er äußerst unbeholfen, dann schien in seinem Innern eine Veränderung stattzufinden. Er rannte los und hätte den Kellner beinahe angesprungen. Seine Hand griff nach der erstbesten Extremität des Robots, um daran zu ziehen.
    „Willst du mich vielleicht auch mal bedienen?“ fragte er barsch.
    Es war eine eindrucksvolle Darbietung der Leidenschaft, Agilität und Ungeduld, die genauso beeindruckend wie unerwartet war. Tandy hatte sich bis zu diesem Moment schweigend verhalten. Aber jetzt machte sie sich bemerkbar. Wellen blanken Entsetzens stiegen vom Fremdbewußtsein auf und überspülten Risas Verstand.
    „Was ist los?“ flüsterte sie.
    - Merkst du das denn nicht? Einen Martin St. John gibt es nicht mehr. Claude hat ihn ausgestoßen! Claude ist zu einem Dybbuk geworden!
    Es war eigentlich nur eine Vermutung, ein kurzes Aufblitzen der Intuition, aber für Risa reichte das aus. Tandy schien die charakteristischen Bewegungen und Reaktionen von Claude Villefranche deutlich ausmachen zu können. Sie waren keineswegs so verschleiert und verzerrt, als wäre Claude nur ein Fremdbewußtsein und seine Eigenschaften indirekt durch Martin St. Johns Verstand verstärkt. Hier stand offen, unwiderlegbar, unmittelbar und direkt Claude Villefranche.
    Dennoch war Vorsicht angebracht. Risa konnte schlecht jetzt schon Alarm schlagen und die Polizei rufen, um den übernommenen Martin St. John verhaften und Villefranche ausmerzen zu lassen.
    Beim Punsch sagte Risa: „Tandys Erinnerungen enden im Juni letzten Jahres. Sie starb im August. Tandy möchte daher gerne wissen, wie es zu ihrem Unfall kam.“
    „Als sie über eine Schlucht sprang versagte ihre Ausrüstung. Es ging alles ganz schnell vonstatten.“
    „Claude war doch bei ihr?“
    „Sie schossen zusammen den Hang hinunter. Über der Schlucht waren sie nebeneinander. Dann war sie plötzlich von seiner Seite verschwunden. Es war ein furchtbares Erlebnis.“
    „Das kann ich mir vorstellen“, sagte Risa. „Ich sehe, Sie zeigen sich selbst davon ergriffen, obwohl Sie doch gar nicht dabei waren.“
    „Mein Fremdbewußtsein war aber dabei“, bemerkte er bestimmt.
    Risa nickte. Es kam ihr seltsam vor, daß die Erinnerung an Tandys Tod bei St. John so dicht an der Oberfläche des Bewußtseins lag. Zudem deutete nichts darauf hin, daß er erst im Erinnerungsblock seines Fremdbewußtseins nach den Details suchen mußte. Statt dessen machte er ganz den Eindruck, als fände er alles in seinen eigenen Erinnerungen vor.
    Risa sagte: „Und was geschah nach dem Unfall?“
    „Claude entdeckte, daß sie abgestürzt war. Er machte kehrt und suchte die ganze Strecke ab, um sie zu

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