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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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endlich damit abfinden, daß er tot ist?“
    „Ja.“
    „Ich höre so etwas nicht zum ersten Mal, Mark.“ Santoliquido faltete die Hände über dem Bauch und lachte. „Paul war schon ein Monolith, nicht wahr? Ich gebe zu, daß ich mir selbst sein gespeichertes Bewußtsein angeschaut habe – nach der Beerdigung – nur, um einen Eindruck von diesem Mann zu bekommen. Er hat mich sehr beeindruckt. Du mußt wissen, Mark, daß ich mich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lasse, aber dieser Mann hat mich beeindruckt.“
    „Spielst du mit dem Gedanken, ihn selbst zu nehmen?“
    Santoliquido wirkte bestürzt, und selbst die Krustazeen an seinem Hals wechselten in rascher Folge ihre Farben, so als würden sie sich auf seine Stimmung einstellen. „Ich verspüre nicht den geringsten Wunsch, diesen schrecklichen alten Mann in meinem Nervenkostüm herumpfuschen zu lassen“, sagte Santoliquido entschieden. „Und überhaupt, wenn ich so an die Nachfrage nach seinem Bewußtsein denke, wäre es ein ungeheuerlicher Vertrauensbruch, falls ich ihn für meine eigenen Zwecke beanspruchen würde. Verstanden?“
    „Aber natürlich, klar doch.“
    Die leutselige Miene kehrte auf das Gesicht des Direktors zurück. „Was mich persönlich betrifft, so ist jedermann, der das Bewußtsein deines Onkels haben will, herzlich eingeladen. Was für ein Titan von Mensch! Er könnte neun von zehn Leuten fertigmachen.“
    „Er hat auch unser aller Leben bestimmt“, sagte Kaufmann. „Er zermürbte meinen Vater und demütigte ihn, wo er konnte. Bei mir hatte er es nicht ganz so leicht, aber zwanzig Jahre lang hat er mir die Hölle heiß gemacht, bevor er sich dazu bequemte, mich als seinen würdigen Erben zu akzeptieren. Und was er erst mit den anderen gemacht hat! Aber ohne Frage haben wir ihn alle geliebt. Er war einfach eine viel zu dynamische Persönlichkeit, als daß man ihn hassen konnte. Doch als er gestorben war, Frank, kam es mir so vor, als wäre ein Druck von mir gewichen.“
    „Das kann ich gut verstehen.“
    „Und noch etwas: keiner von uns wollte es glauben, als er den Schlaganfall erlitt. Ich meine, er war doch noch gar nicht so alt, gerade über siebzig. Wir gingen alle davon aus, daß ihm noch gut fünfzig Jahre bevorstanden. Aber seine Dynamik muß wohl alle Lebenskraft aus ihm gesaugt haben.“
    „Schon ziemlich bald wird er wieder unter uns sein“, sagte Santoliquido.
    „Als ein transplantiertes Bewußtsein, ja. Aber das ist nicht dasselbe wie damals, als Onkel Paul durch alle Räume schritt und Befehle hineinbrüllte.“
    „Das kann nur die Zeit beweisen. Es muß auf jeden Fall eine starke Persönlichkeit sein, die ihn in Grenzen halten kann, Mark.“
    „Glaubst du denn wirklich, daß Paul seinen Wirt übernimmt?“
    „Offiziell glaube ich gar nichts. Ich bin nur ein Beamter, und es gehört nicht zu meinen Aufgaben, etwas zu glauben. Komm mit, ich zeige dir deinen Onkel.“
    „Und Risas drei potentielle Identitäten“, erinnerte ihn Kaufmann.
    „Die auch“, sagte Santoliquido.
    Kaufmann folgte ihm aus dem Büro hinaus zu einem Privataufzug. Der bewegte sich so leise, daß Mark die eigentliche Fahrt gar nicht bemerkte; selbst der Zug der Schwerkraft ließ sich nicht verspüren. Hier, in diesem Heim des Todes und der Wiedergeburt, fühlte Mark sich immer unbehaglich und hilflos. Er konnte sich keine Vorstellung von dem machen, was in den unendlich vielen Räumen und Büros dieser insgesamt einhundertundzwanzig Stockwerke steckte. Und er hatte erst recht keine Ahnung, wie tief ins Erdreich der Bau hinabreichte oder welche Irrgärten an Lagerräumen dem Blick des Besuchers verborgen blieben. In diesem auffällig gigantischen Bauwerk waren die Identitäten von allen toten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gespeichert – etwa achtzig Millionen; diejenigen bedeutenden Männer und Frauen, die seit der kommerziellen Einführung des Scheffing-Prozesses gestorben waren. Kaufmann wußte, daß selbst diese achtzig Millionen bequem auf relativ geringem Raum untergebracht werden konnten. Viele Räume in diesem Gebäude standen der Aufnahme von Daten zur Verfügung, in anderen wurden die Transplantationen durchgeführt; aber ein Großteil des Bauwerks wurde für ihm unbekannte Zwecke genutzt.
    Er wußte nicht, in welchen Teil des Turms Santoliquido ihn geführt hatte, ob hoch hinauf aufs Dach oder tief hinunter in den Keller. Er folgte ihm einfach durch die stillen Korridore, die von einem warmen Licht erhellt

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