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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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durchwogte sie Unsicherheit, ob sie ihre Worte gut genug gewählt hatte.
    »Ich sehe vielleicht aus, als wäre ich so alt wie du. Aber ich habe neun Jahre Zeit gehabt, um über Blutbücher nachzudenken. Und… ich denke nicht, dass wir jemandem davon erzählen sollten. Dein Onkel wird uns nicht glauben. Er wird das Buch selbst lesen wollen. Dann ist er verrückt.« Er zuckte mit den Schultern.

    Apolonia verengte die Augen. »Ich weiß, wie ich Tigwid, mich und dich rächen kann, verstanden? Stell dich deinem eigenen Vorteil nicht in den Weg, nur weil du dich offensichtlich verpflichtet fühlst, Tigwids Meinung zu vertreten. Denk mal nach.«
    Hinter seinem reglosen Gesicht schien es zu arbeiten. Er öffnete unschlüssig den Mund. »Ich vertrete nicht Tigwid. Ich bin …«
    »Hast du einen besseren Vorschlag? Wir haben genau zwei Möglichkeiten. Entweder wir agieren weiterhin wie Kriminelle und brechen bei Ferol ein. Dann hätten wir mit viel Glück dein Blutbuch - und würden damit genau dasselbe anfangen wie mit Tigwids Blutbuch in Möglichkeit zwei: Wir nehmen jetzt das Buch«, sie klopfte patzig gegen den Buchdeckel und versetzte Vampa damit einen leichten Schubs, »gehen zu mir nach Hause, und ich spreche mit meinem Onkel. Er wird in der Dichteraffäre den Prozess seines Lebens erkennen und die Dichter sind passé .«
    Vampa schien nicht überzeugt, aber das musste natürlich nichts heißen. Apolonia wartete, bis er eine Antwort von sich gab. Als keine kam, setzte sie noch hinzu: »Überleg mal, was Tigwid machen würde. Wenn er unser Gespräch mitangehört hätte, würde er bestimmt sagen, dass er das Risiko einzugehen bereit ist, um die Dichter ans Messer zu liefern. Er würde erkennen, dass es unsere einzige Chance ist.« Damit drängte Apolonia sich an Vampa vorbei. »Komm. Wir wollen keine Zeit verschwenden. Je schneller wir diese missliche Sache aufklären, umso rascher können wir auch Tigwid aus dem Gefängnis holen.«
    Sie tastete sich bereits durch die Finsternis des engen Kanalschachts und kletterte eine Leiter hinauf, während Vampa hinter ihr die Petroleumlampe löschte. Die Zeichnung von Tigwid kam ihr in den Sinn. Er sah sie mit einem vorwurfsvollen
Blick an, empört und irgendwie verletzt. Reiß dich zusammen, dachte sie. Sie musste ihn noch dieses eine Mal … es war ja nicht verraten ! Ihre gemeinsame Rache ging vor. Apolonias Rache.
     
    Während sie durch die verschneiten Straßen marschierten, schwiegen sie. Ihnen waren die Gesprächsthemen ausgegangen. Für Apolonia war Vampa nicht viel mehr als ein inhaltloser Körper und Vampas Verhalten widersprach dem in keiner Weise. Nur wenn er sie aus den Augenwinkeln beobachtete und Apolonia seinen Blick auf sich spürte, war sie sich nicht ganz sicher, was in ihm vorging.
    Ob er ihr misstraute? Sie hatte ja zugegeben, eine Motte zu sein, und die Dichter waren schließlich auch Motten. Womöglich war das der Grund, weshalb er Der Junge Gabriel im Arm hielt und nicht aus der Hand gab, als sei es sein eigenes Herz.
    Es war ein kühler Morgen, der Himmel hüllte sich in kränklich gelbe Schleier und über dem Fluss waberten dichte Nebel. Apolonia vergrub fröstelnd die Hände in den Manteltaschen. Eine ältere Dame kreuzte ihren Weg, warf erst Apolonia, dann Vampa und seiner bloßen Brust einen Blick zu und stieß ein missbilligendes Schnauben aus. Apolonia stolzierte erhobenen Hauptes an ihr vorbei, doch als sie um die nächste Straßenecke gebogen waren, sagte sie: »Du hättest dir wenigstens ein Hemd anziehen können. Das Haus meines Onkels befindet sich in einer Gegend, wo man für gewöhnlich nicht nackt durch den Schnee hüpft.«
    Vampa schloss betreten den Mantel. »Soll ich mir ein Hemd besorgen?«
    »Wie? Wenn du auf die Art meinst, auf die du vermutlich auch den Mantel da aufgegabelt hast, dann nein. Kriminalität ist bei dir offenbar an der Tagesordnung, aber ich bin noch ein
ehrlicher Bürger.« Apolonia hatte verschnupfter geklungen als beabsichtigt, aber schließlich hatte sie allen Grund, gereizt zu sein. Sie war auf dem Weg zu Elias Spiegelgold, dem vernunftmäßigsten Menschen der Welt, um ihm eine Geschichte von Gabenträgern, Blutbüchern und Erinnerungsraub zu erzählen. Und in ihrem Schlepptau war ein halb nackter, unsterblicher Junge.
    Was Trude sich wohl denken würde? Bestimmt erschrak sie, war erleichtert und völlig aus dem Häuschen. Apolonia lächelte beinahe. Sie hatte ihr Kindermädchen vermisst.
    Bald tauchte der Park vor

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