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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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sollten die Mottengaben also eine Ausnahme sein? Nein, ich vermute, dass sie den gleichen Regeln folgen.«
    Tigwid starrte den Globus an, der sich unermüdlich um sich selbst drehte. Stockend streckte er die Hand aus und konzentrierte sich … der Globus hielt allmählich inne. Schließlich drehte er sich in die entgegengesetzte Richtung, langsam und schleppend. Collonta beobachtete das Ganze aufmerksam.
    »Und wenn alles eine Frage der Anziehung ist … wie kommt es dann, dass ich frei darüber verfügen kann, ohne den Globus zu berühren?«, fragte Tigwid leise. Er ließ die Hand erschöpft sinken, und der Globus wackelte ein wenig, ehe er seine gewohnte Runde wieder aufnahm.
    Collonta lächelte. »Hier kommt die Elektrizität ins Spiel.«
    Tigwid runzelte wieder die Stirn. Die Geschichte mit dem Magnetismus hatte er Collonta gerade noch glauben können - aber jetzt auch noch Strom ?
    Collonta schien ihm die Zweifel anzusehen und legte die Fingerkuppen aneinander. »Nun, wir können es auch anders nennen. Sagen wir, die Energie, die uns ständig und überall umgibt, die in der Luft schwebt, manchmal in Form von Hitze, in Form von Lärm oder in magnetischen und elektrischen Impulsen. Wenn ich spreche, so stoße ich Energie aus, die in meiner Umwelt weiterexistiert, selbst wenn meine Worte verklungen sind. Und während du dort sitzt und mir zuhörst, gibst du Wärme ab, die nicht nur deinen Körper heizt, sondern auch eine Aura kaum zu spürender, menschlicher Hitze um dich ausbreitet. Diese Energien fliegen frei um uns herum. Und was wir Motten machen - wir können diese Energieströme, die in die Umgebung eingegangen sind, lenken.«
    »Wie?«

    Collonta tippte die Finger gegeneinander. »In der Tat eine schwierige Frage. Dies ist meine Erklärung: Unser Gehirn funktioniert durch winzige Stromstöße, die durch das Organ schießen und Informationen transportieren. Wie jede Energie muss auch diese elektrische Energie einen Teil von sich an die Umgebung abgeben - das heißt, uns umgibt ein unsichtbarer Nebel elektrischer Impulse. Wir Motten können offenbar Impulse nach draußen transportieren, in denen noch Informationen aus unserem Gehirn gespeichert sind. Die Impulse treffen auf die Energien in der Luft, vermitteln die Information weiter - wie Dominosteine schlagen Milliarden unsichtbare Elektronen gegeneinander und bewirken zum Beispiel das, was du gerade mit meinem Globus gemacht hast.«
    Tigwid musste diese abenteuerliche Theorie erst mal auf sich wirken lassen. Er kaute auf seiner Unterlippe und starrte Collonta an. »Ich dachte immer, dass es irgendwas mit Magie zu tun hätte …«
    »Was ist denn Magie? Ist Magie keine Magie mehr, sobald man sie begreifen kann?« Er lächelte wieder. »Ich betrachte unsere Gaben mit den Augen eines Wissenschaftlers, und gleichzeitig bergen sie für mich einen wundervollen, atemberaubenden Zauber, sie sind ein Geschenk Gottes. Wenn ich dir erklären würde, wieso ein Gemälde schön ist, würde es dadurch seine Schönheit doch nicht verlieren. So ist es auch mit den Wundern der Natur.«
    Tigwid schwieg.
    »Du hattest gefragt, wie die Gaben der Dichter und Geisterherren funktionieren«, erinnerte Collonta. »Nun, ich denke, beide beruhen auf denselben Regeln. Die Geisterherren beschwören in Wirklichkeit natürlich keine Geister. Wir können die Energien der Luft entziehen und sie zu neuen Kräften ballen, die uns wie mächtige Geister erscheinen. Und wir haben herausgefunden, dass wir nicht nur so etwas wie die Wärme
eines Feuers für uns benutzen können … Wir können auch Energien bündeln, die noch in ihren Körpern stecken. Wenn du so willst, können Geisterherren anderen Wesen Lebenskraft abzapfen.«
    »Sie könnten mir also meine Energie wegnehmen. Und was würde dann mit mir passieren?«
    »Ohne Energie funktioniert kein Körper. Es wäre tödlich.«
    »Das ist … furchtbar. Solche Kräfte zu haben … ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich nicht so begabt bin. Ich hätte Angst vor mir selbst.«
    Collonta nickte ernüchternd. »Es ist eine sehr große Verantwortung. Leider will der Zufall es so, dass es immer wieder Motten mit mehr Talent als Moral gibt.«
    »Sie meinen die Dichter.«
    Wieder nickte er. »Ihre Gabe funktioniert wie gesagt ähnlich wie die der Geisterherren. Sie ziehen elektrische Energien aus den Köpfen anderer Menschen - ihre Erinnerungen. Sie haben sich darauf spezialisiert, nur diese eine Energiequelle anzuzapfen. Wir Geisterherren versuchen

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