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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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schwarzen Haar und dem wuchernden Bart konnte man ein Gesicht erahnen, das noch jung war.
    »Lass sie«, sagte Kairo leise. »Gleich vorbei.«
    Tigwid gehorchte und beobachtete sorgenvoll, wie Fredo und Zhang Bonni festzuhalten versuchten. Dann sank Bonni zusammen und regte sich nicht mehr. Vorsichtig legten Fredo und Zhang sie auf das Bett und strichen ihr die Haare aus dem Gesicht. Eine halbe Minute herrschte Stille. Dann zuckten Bonnis Finger und sie öffnete stöhnend die Augen.
    Collonta trat neben sie. »Bonni?«
    Ihr Blick irrte über die Zimmerdecke. Dann stiegen ihr Tränen in die Augen. »Es ist zu spät. Es ist geschehen.«
    »Was ist geschehen?«, fragte Zhang verzweifelt.
    »Magdalenas Tochter … sie hat gewählt.« Zhang umklammerte Collontas Arm. Nicht nur sie, auch er schien zu zittern.
    »Sie hat sich den Dichtern angeschlossen«, sagte Bonni, und Zhang schüttelte den Kopf, als wolle sie es nicht glauben.
    Tigwid trat einen Schritt vor. »Redest du von Apolonia? Das ist unmöglich. Apolonia - niemals.«
    Zhang drehte sich zu Bonni um. »Bist du dir ganz sicher? Ich meine … hast du das auch wirklich gesehen?«
    Gebannt warteten alle auf eine Antwort. Doch Bonni starrte nur an die Decke und zwang sich schließlich zu einem knappen Nicken. Collonta sank zu Boden. Sein Gehstock schlug klappernd gegen das Bett. Mit dumpfen Augen starrte er ins Leere.
    »Nein«, stammelte Tigwid. »Wartet einfach hier … keine Angst. Ich werde sie finden!«

Enttarnt

    A polonia traf Morbus am späten Nachmittag in der Bibliothek des Anwesens zu ihrer ersten Unterrichtsstunde. Es war ein weitläufiger Raum, fast eine Halle, mit einer bemalten Decke voller Szenen aus der griechischen Mythologie. Die dunklen Regale waren schlicht und ordentlich, die Bücher nach Bänden sortiert.
    Als Apolonia eintrat, wandte er sich mit einem Lächeln um und winkte gleichzeitig seinem Diener, woraufhin dieser die schweren dunkelblauen Vorhänge zuzog. Das gräuliche Tageslicht schwand, und Morbus knipste eine Lampe auf einem der Schreibtische an, die einen Kreis um die leer stehende Mitte der Bibliothek schlossen. Dann wartete er, bis der Diener sich verneigt hatte und verschwunden war. Leise schlossen sich die hohen Türflügel. Morbus trat in die Mitte des Raumes, wo kunstvolle Mosaike wie ein riesiges Mandala den Boden bedeckten und ein Marmorauge in ihrem Zentrum präsentierten. Auf dieses Auge presste Morbus eine Hand. Durch den Druck sprang die runde Fläche ein Stück aus dem Boden. Morbus drehte die dicke Marmorscheibe nach rechts. Augenblicklich lief ein Grollen durch den Boden. Plötzlich setzten sich die Fliesen rings um das Mandala in Bewegung. Die schweren Steinplatten erhoben sich und zogen
Glasvitrinen ins Licht, in denen jeweils ein rotes Lederbuch ruhte.
    Morbus richtete sich auf und schob die Hände in die Hosentaschen. »Komm ruhig näher. Sieh sie dir an!«
    Apolonia trat an den Tischen vorbei und näherte sich den Vitrinen. Die Bücher sahen alle aus wie Der Junge Gabriel . »Das alles sind …?«
    Morbus nickte. »Einunddreißig Blutbücher, alle aus meiner Feder. Sie sind innerhalb der letzten neun Jahre entstanden. - Sieh mal hier, das war mein Allererstes.« Er trat an eine Vitrine und seufzte gedankenverloren. » Der Junge Adam. Er war zwölf Jahre alt.«
    »Und hat schon zum TBK gehört?«, fragte Apolonia ungläubig.
    »O ja, sie fangen früh an. Darum dürfen wir uns von der Jugend unserer Feinde auch nicht zu Milde verleiten lassen.« Er wandte sich wieder dem Buch zu und lächelte leise. »Damals war die ganze Sache noch ein Experiment, ich hatte keine Erfahrung mit dem Herausschreiben von Erinnerungen. Ich entzog dem Jungen ganz wahllos alles, was ich greifen konnte, und am Ende wusste er die banalsten Dinge nicht mehr, zum Beispiel, wie er hieß und was ein Mensch ist.«
    »Sie hätten ihm nur die Erinnerung an den TBK nehmen sollen«, sagte Apolonia vorwurfsvoll.
    »Wie gesagt, ich war unerfahren. Aber manchmal ist es auch nicht genug, einem Terroristen allein das Wissen um seine Tätigkeit zu nehmen - viele von ihnen haben ein durch und durch böses Wesen, und alles muss getilgt werden, bevor man sie guten Gewissens wieder auf die Straße lassen kann.« Morbus zog einen dünnen Schlüssel aus seiner Westentasche und schloss die Vitrine auf. Dann nahm er das Blutbuch behutsam heraus und strich über den Einband. »Es ist vielleicht nicht das am stilvollsten geschriebene Werk meiner Sammlung.
Doch ich

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