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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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meine Bekannten sitzen im Gefängnis oder sind tot. Ich weiß nicht, wo irgendwer ist.« Sie schloss die Augen und wartete, bis die Tränen zurückgedrängt waren. »Wen sucht ihr?«
    »Ein Mädchen«, sagte Vampa. »Ihr Name ist Apolonia. Sie wurde von Leuten verschleppt, die sich die Dichter nennen.«
    »Einer von ihnen heißt Ferol«, fügte Tigwid hinzu. »Professor Rufus Ferol. Er hat ein Zimmer in Laternenreich gemietet.«
    » Laternenreich … da sind so manche komische Vögel rumgegeistert, aber bestimmt niemand, an den ich mich erinnert hätte.«
    »Und von den Dichtern hast du nichts gehört? Denk nach. Bitte«, sagte Vampa.

    Dotti biss sich auf die Lippen. »Tut mir leid. Ich weiß wirklich nichts von Dichtern. Es waren so viele Leute in Eck Jargo … so viele …« Schluchzend zog sie ein frisches Taschentuch aus dem Ausschnitt ihres Kleides und drückte ein paar Tränen in den zerknitterten Stoff. Tigwid beschloss, etwas zu unternehmen. Er stand auf, holte eine Cognacflasche aus der Glasvitrine, schüttete Dottis Tee in die Kanne zurück und schenkte ihr dafür einen Schluck Cognac ein. Dann trank er seinen Tee aus und goss auch sich aus der Kristallflasche ein. Schluchzend griff Dotti nach den Pralinen und schob sich drei auf einmal in den Mund. »Alles, alles vorbei … so viele … hick … tot! Fast, fast wäre ich … hick , im Knast gelandet!«
    Tigwid wusste gar nicht, was er tun sollte. Vor ihnen saß eine Frau, deren Existenz gestern zerstört worden war, und er und Vampa quetschten sie nach Informationen aus, um das Mädchen zu retten, das an allem Schuld trug. Beschämt nahm Tigwid einen großen Schluck Cognac. Er brannte ihm im Hals wie Feuer und trieb ihm Tränen in die Augen.
    Vampa schenkte sich ebenfalls Cognac ein und trank alles in einem Schluck leer. Seine Augen waren rot und glasig, als er die Tasse wieder abstellte. »Dotti. Du musst uns helfen.«
    Wimmernd steckte sie sich neue Pralinen in den Mund. »Ich weiß nichts … Es tut mir leid, Vampa.«
    Vampas Blick schwenkte zu Tigwid herüber. Als er dessen sorgenvolle Miene bemerkte, ballte er die Fäuste und sagte, an Dotti gewandt: »Apolonia wird ihre Vergangenheit verlieren, wenn wir ihr nicht helfen. Erinnere dich!«
    Dotti spähte über ihr Taschentuch hinweg auf Vampa. In diesem Augenblick mischte sich ihre Furcht mit zaghafter, wachsender Wut. Mehr als sieben Jahre lang hatte sie alles getan, was dieser Junge von ihr verlangt hatte. Sie hatte so lange vor ihm Angst gehabt, hatte sich von der Angst regieren lassen. Verdammt, sie war sogar eine Zeit lang mit Knoblauchketten
rumgelaufen! Und jetzt, wo Eck Jargo untergegangen war, wo alles vorbei war, hatte sie keine Lust mehr. Ein Trotz erwachte in ihr, den sie sich nie zu fühlen getraut hatte.
    »Ich weiß wirklich nichts von Dichtern«, flüsterte sie. »Ich habe schon genug Probleme.«
    Vampa schien durch diese eindeutige Antwort nicht aus dem Konzept gebracht. Reglos stierte er sie an, wartend.
    Tigwid wurde unruhig. Dotti konnte ihnen nicht weiterhelfen, das hatte er doch gewusst. Sie vergeudeten hier nur ihre Zeit.
    »Gut. Vielen Dank trotz allem.« Tigwid erhob sich und wischte sich verstohlen über die Lippen, auf denen noch der Cognac brannte. Sein Magen sagte ihm ganz deutlich, was er von Alkohol in der Früh hielt, und grummelte vernehmlich.
    Auch Vampa stand auf. Zitternd tupfte sich Dotti ein paar Tränen aus den Augenfalten.
    »Passt auf euch auf«, murmelte sie und schob die Tassen zusammen.
    »Du weißt es. Du weißt, wer und wo die Dichter sind.«
    »Nein, Vampa. Wirklich …«
    Einige Momente lang glühte sein Blick auf ihr, dann wandte er sich ab, und Tigwid folgte ihm.
    Im Türrahmen blieb Tigwid stehen und drehte sich um. Dotti sah ihn mit bebendem Kinn an. »Ich weiß wirklich nichts.«
    Er lief zu ihr zurück und legte zögernd eine Hand auf ihre Schulter. »Seien Sie nicht traurig, Fräulein Dotti. Eck Jargo war das herrlichste Wirtshaus, das die Welt je gesehen hat, und egal was geschehen ist - man wird sich immer daran erinnern, solange es Polizisten und Banditen gibt! Sie haben eine Welt erschaffen, die mein Zuhause war und aus der all die schönen Erinnerungen stammen, die ich noch habe. Danke dafür.«

    Dotti lächelte schwach. »Ich… Tut mir leid, dass ich euch nicht helfen konnte. Trotzdem viel Glück.«
    Tigwid nickte, klopfte ihr auf die Schulter und wandte sich um. »Ach, und - einen Morbus kennen Sie auch nicht, oder?«
    »Morbus!« Dotti

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