Noelles Demut
bloß nicht an. An seinem Vierzigsten ist er nach London abgehauen.“
„Wieso ausgerechnet London?“
„Ich glaube, er hat da einen Freund aus Studienzeiten. Aber ich möchte nicht die ganze Zeit über Simon reden. Erzähl mir was von dir. Was hast du jetzt vor?“
„Schade! Ich rede gerne über Simon.“
Sie grinsten sich an.
„Am Montag habe ich ein Testkochen bei Mr. Green im Marquis . Kennst du ihn? Er ist ein Freund von Simon.“
„Ja, ich kenne Lucian und seine Frau Isabella. Du bist Köchin?“
„Ja! Und, ohne arrogant wirken zu wollen, keine Schlechte. Ich hoffe wirklich, ich bekomme den Job. Langsam wird es Zeit, dass ich wieder auf eigenen Beinen stehe.“
„Du hast viel erreicht, Noelle. Jetzt geht es nur noch aufwärts.“
„Das war nicht mein Verdienst. Es ist furchtbar, aber ich glaube, nur Toms Tod hat mich gerettet.“ Sie glaubte es nicht nur, sie war überzeugt davon. Ann würde jetzt nicht lächelnd neben ihr sitzen, wenn sie ihre dunkelsten Geheimnisse kennen würde.
„Ich hätte ihn ins Gefängnis gebracht. Darauf kannst du wetten. Solche Schweine lasse ich nicht frei rumlaufen.“
Noelle lächelte. Auf einmal hatte sie den Drang, Ann alles zu erzählen. Sie wollte ihr sagen, dass sie Träume vom Fesseln hatte, dass es sie erregte, sich einem Mann demütig hinzugeben und ihm zu dienen. Unerklärlicherweise hatte Noelle das Gefühl, Ann würde sie verstehen. Stattdessen sagte sie grinsend: „Du hast aber in Boston keine Befugnisse.“
„Aber Caleb Jackson, einer der Bostoner Staatsanwälte, ist ebenfalls ein Freund von mir.“
„Da bin ich ja in ein richtiges Netzwerk aus Anwälten geraten.“
„Oh, zu meinem Freundeskreis zählen auch Künstler, Unternehmer, ein Richter, zwei Ärzte …“
„Hör auf“, lachte Noelle. „So viele Menschen kenne ich nicht einmal, geschweige denn, dass ich sie Freunde nennen würde. Aber eins möchte ich noch wissen: Diese Cassandra Addyngton, woher kennt ihr die?“
„Sie ist die Freundin eines Freundes. Glaub mir, die zähle ich nicht zu meinem Kreis.“
„Warum hasst sie mich?“
„Wegen Simon. Sie wollte ihn für sich. Ich hätte ihr nicht zugetraut, deine Verteidigung abzugeben. Das rechne ich ihr hoch an, auch wenn sich meine Sympathie für sie weiterhin in Grenzen hält.“
Der Gedanke, dass Simon etwas mit dieser Cassandra hatte, stach Noelle tief ins Herz. Ann war eine Sache. Sie mochte Noelle, und wenn sie auch nicht bereit war, Simon zu teilen, so konnte sie zumindest verstehen, dass er Ann sexuell attraktiv fand. Cassandra war das Paradebeispiel einer Zicke, arrogant, schnippisch und bösartig. Wie konnte ein sensibler Mann wie Simon an so eine Frau geraten?
Noelle spürte Anns Blick auf sich. Das Schweigen zwischen ihnen war nicht unangenehm, doch Noelle hatte nicht vor, auf Anns Bemerkung einzugehen.
„Was machst du sonst so, außer Leute verknacken? Hast du einen festen Freund?“, lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung.
„Sieh mich an!“, lachte Ann, streckte den Rücken durch und deutete auf ihren in Blazer und Bluse gehüllten Oberkörper. „Ich kann jeden haben. Warum sollte ich mich festlegen?“ Anns Lachen wirkte aufgesetzt. „An oberster Stelle steht mein Job. Ansonsten genieße ich das Leben in vollen Zügen und nehme mir, was ich haben will.“
„Das klingt egoistisch.“
„Ist es auch. Mein Weg war hart und steinig. Es ist in der Männerwelt für eine Frau nach wie vor nicht leicht. Je höher man kommt, desto dünner wird die Luft. Mit zarter Weiblichkeit kommst du nicht weit.“
Noelle sah Ann von oben bis unten an. Sie trug ein graues Kostüm, eine hellblaue Bluse und schwarze Pumps. Sehr streng, sehr elegant und auf eine unterdrückte Art unglaublich sexy. „Ich finde dich sehr weiblich.“
Sie lachten beide aus voller Kehle.
„Wenn ich endlich wieder Geld verdiene, müssen wir unbedingt shoppen gehen. Ich möchte zu gern wissen, wie Simon reagiert, wenn ich so züchtig und doch aufreizend vor ihm herstolziere.“
„Das kann ich dir ganz genau sagen. Du musst dir ein neues Kostüm kaufen.“
Noelle hielt sich den Bauch vor Lachen. Ihnen liefen die Tränen herunter, bevor sie sich beruhigten. Es tat so gut, unbefangen rumzuscherzen.
„Darf ich dich was fragen?“ Noelle war ernst geworden.
„Na klar! Schieß los.“
„Hatte Simon viele Frauen?“
„Wie kommst du darauf?“
„Du, diese Cassandra ...“
Ann war plötzlich distanziert, und die Verlegenheit in
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