Noelles Demut
Lucian.
Simon hätte wissen müssen, dass Lucian spürte, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Sie waren zu lange befreundet, um Lucian täuschen zu können. Simon strich sich über den kahlen Schädel und sagte: „Ich weiß es nicht. Seit Wochen habe ich das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen. Ich muss einfach mal raus.“
„Deine plötzliche Flucht hat nicht zufällig was mit der Kleinen aus dem Krankenhaus zu tun?“
„Nein! Ich fühle mich schon länger ruhelos. Ein Tapetenwechsel wird mir guttun.“
„Wie geht es Monice?“
Monice war die Geschäftsführerin des Clubs gewesen, bis sie im vergangenen Jahr mit ihrem Mann nach Los Angeles gezogen war.
„Fantastisch! Sie schwebt nach wie vor auf Wolke sieben.“
„Wie lange bleibst du weg?“
„Keine Ahnung. Ich melde mich, sobald ich Näheres weiß.“ Eine Weile sahen sie sich schweigend an. „Wie hast du gemerkt, dass Isabella die Eine für dich ist?“
Simon bereute die Frage im selben Moment, da sie ihm über die Lippen geschlüpft war. Er war nicht der Typ für Gefühlsduseleien, und Lucian würde merken, wie sehr ihn die Begegnung mit Noelle aus der Bahn geworfen hatte.
„Das ist eine gute Frage, nur lässt sie sich nicht so leicht beantworten. Isabella hat etwas an sich, das mich tief berührt. Wenn ich sie sehe, habe ich das Gefühl, einen Feuerball im Magen zu haben. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Es ist einfach da.“
„Von einer Sekunde zur anderen“, sagte Simon wie zu sich selbst.
„Kenne ich sie?“
„Ich kenne sie ja selbst nicht. Wie ist so was möglich? Man sieht einen Menschen und kann ihn einfach nicht vergessen. Das macht mich fertig.“ Simon sprang auf die Füße. „Ich muss dann mal. Mach’s gut, Alter.“
„Simon?“
Simon blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
„Du wirst sie nicht vergessen, nur weil du die Stadt verlässt. Sie wird dich überallhin verfolgen.“
„Tolle Aussichten!“
Simon hob die Hand zum Abschied und verließ das Zimmer. Isabella stand in der Küche. Es duftete verführerisch.
„Mach’s gut, Bell. Und genieß es nicht zu sehr. Lucian wird dir jede einzelne Sekunde der Schadenfreude mit der Peitsche vergelten.“
„Bleibst du nicht zum Essen?“
„Keine Zeit! Bis dann!“
„Ist er nicht süß?“, flüsterte Lydia verschwörerisch und linste hinter der Stellwand hervor. Paul Garwis stand in der angrenzenden Nische und plauderte mit einem jungen Mann.
„Ich finde den anderen niedlicher“, gab Noelle zu. Sie fühlte sich wie fünfzehn, als sie den Jungs beim Football zugesehen hatte.
Lydia kicherte. „Das ist Jesse Wheeler. Tut mir echt leid für dich, aber er ist schwul.“
„Na, was habe ich doch wieder für ein Glück!“ Noelle konnte sich das Lachen nur mühsam verkneifen. Der Typ sah zwar gut aus, war aber mit seiner femininen Ausstrahlung völlig uninteressant. Im Moment war sie heilfroh, dass sie den Mann an ihrer Seite endlich los war. Sie hatte keinerlei Interesse an Männern. Als sie das dachte, huschte für den Bruchteil einer Sekunde ein Gesicht durch ihr Unterbewusstsein. Doch Lydias Geplapper verscheuchte den Gedanken, bevor er gereift war.
„Ich würde ihn so gern kennenlernen. Sieh dir diese Hände an. Wie sich diese schlanken, langen Finger wohl auf meiner Haut anfühlen würden?“
„Du bist unverbesserlich. Vielleicht ist er ja auch schwul? Die beiden scheinen sich gut zu verstehen.“
„Ist er nicht! Letztes Jahr hatte er eine Affäre mit Juliet Rosenbaum.“
„Die Millionenerbin?“
„Genau die. Blöde Kuh! Aufgetakelte Zicke!“
Jetzt konnte Noelle nicht mehr an sich halten. Sie trat einen Schritt nach hinten, presste die Hände auf den Mund und prustete los. Entsetzt wich Lydia hinter die Stellwand zurück. „Bist du verrückt? Die entdecken uns noch.“
Noelle lachte lauthals. „Freu dich doch. Du wolltest ihn doch kennenlernen.“
In diesem Moment kam Jesse Wheeler um die Ecke und warf ihnen einen missbilligenden Blick zu. „Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragte er pikiert.
Noelle musste sich umdrehen, um ihr Lachen in den Griff zu bekommen. Lydia stand mit offenem Mund da und starrte Paul an, der neben Jesse trat. „Ich hätte nicht erwartet, dass meine Bilder für derartige Belustigung sorgen.“
„Das tun sie nicht. Ich … meine Freundin …“
Noelle rannte kichernd zur Tür. Es war ihr nicht möglich, sich zu beruhigen. Lydia bot einen zum Schreien komischen Anblick. Ihre Ohren und Wangen glühten,
Weitere Kostenlose Bücher