Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
muss, normalerweise bin ich bei One-Night-Stands anspruchsvoller .«
Eine ähnliche Wirkung hat Klischee . Ein Klischee ist ja nichts anderes, als ein Bild aus dem Hut zu zaubern, das schon tausendfach dem geneigten Publikum präsentiert wurde. Es steckt also oft noch ein charmantes Körnchen Wahrheit darin. Doch sobald der Nörgler eine Situation als Klischee abstempelt, bleibt dem Angenörgelten nichts anderes übrig, als das Körnchen Wahrheit zu ignorieren und sich der ganzen Situation schnellstens zu entziehen. Alles andere wäre einfach zu peinlich. Wenn Ihr Geliebter Sie zum Beispiel eines Abends zu einem Candlelight-Dinner in ein italienisches Restaurant ausführt, dort auf die Knie geht und Ihnen einen Diamantenring überreichen will, reichen die Worte: »Das ist hier aber alles reichlich klischeehaft« aus, und schon hat er keine andere Wahl, als so zu tun, als ob er einen Witz machen wollte. Mit Klischee können Sie nichts falsch machen!
Es gibt so viele Klischees auf der Welt, dass sie sich widersprechen: der fröhlich schwanzwedelnde Hund ist ebenso ein Klischee wie der traurige Hund mit den großen Augen. Im Grunde ist das ganze Leben ein einziges Klischee , es fehlt nur der unbestechliche Kritiker, der das einmal ausspricht.
Machen Sie sich mit Begriffen vertraut, die nur dazu da sind, die Kompliziertheit der Welt zu veranschaulichen. Eignen Sie sich diese Formeln an, dann können Sie noch so uninformiert sein, Sie machen aber automatisch den Eindruck, den absoluten Durchblick zu haben.
Differenzieren ist ein solches Wort. Wer die Kompliziertheit der Welt begreift, der sieht alles kompliziert. Das müssen Sie bei jeder Gelegenheit klarstellen. Sobald jemand in ihrer Umgebung fragt: »Ist heute Dienstag? Heute ist doch Dienstag, oder?«, ist das Ihre Chance. Kontern Sie sofort mit: »Also, das muss man differenziert betrachten. Von welcher Zeitzone reden Sie gerade?«
Pauschalisierung ist noch so ein Begriff. Wer pauschalisiert, der blickt nicht durch. Wenn jemand meint: »Also, ich finde es überhaupt nicht gut, wenn irgendein Typ mit einem Maschinengewehr in der Fußgängerzone auf wehrlose Passanten schießt«, kontern Sie: »Da wirfst du aber alle Amokläufer in einen Topf. Das kannst du nicht so pauschalisieren.«
Wenn Sie diese Begriffe so lange geübt haben, dass sie Ihnen schneller über die Lippen kommen als die Worte, »na, schönes Wetter heute«, dann sind Sie reif für den letzten Schritt, für die olympische Disziplin der Nörgelei: Das prophetische Nörgeln.
Oberflächlich betrachtet scheint das Prophetentum der biblischen Zeiten ausgestorben zu sein. Doch auch heute weilen Propheten unter uns. Ein biblischer Mahner, der sich in der Vision vergriff, konnte schon mal in die Wüste gejagt werden; dem modernen Propheten kann das nicht passieren. Egal, welch wirres Zeug er von sich gibt, er wird heiß und innig verehrt. Ja, man kann sogar behaupten, wir leben heute in einer aufgeklärten Zeit des demokratisierten Prophetentums, in der jeder brabbeln darf, was er will.
Vergleichen Sie die folgenden prophetischen Nörgeleien:
Der Prophet Jesaja sagte mehr als 700 Jahre vor Christus: »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Alle Täler werden erhöht werden und alle Berge und Hügel werden erniedrigt werden, und was ungleich ist, wird eben, und was höckericht ist, wird schlicht werden.«
Anlässlich eines UNO-Berichts zur Klimakatastrophe am 26. Mai 2006 beschrieb der Spiegel mit verblüffender Ähnlichkeit, dass durch das Abschmelzen der Arktis das Nasse trocken und das Trockene nass, Landmasse zu See und See zu Landmasse, Wüste zum Dschungel und Dschungel zur Wüste werde.
Trotz der Ernsthaftigkeit dieser Mission können auch Sie mit nur ein paar rhetorischen Tricks prophetischer Nörgler werden. Das Einzige, was Sie mitbringen müssen, ist Ihre Leidenschaft für den rechten Weg, auf den es die Menschheit zurückzubringen gilt.
Von all den Formulierungen, mit denen Mahner heute ihr Volk zurückpfeifen, brauchen Sie nur zwei zu kennen. Von diesen einfachen Worten geht eine solche Kraft aus, dass man sie bloß in die Diskussion zu streuen braucht, und schon hat man die Position des modernen Moralwächters erobert: Wahn und Sucht .
Das Geheimnis dieser Begriffe ist einfach: Sie beziehen ihre Autorität aus ihrer Nähe zur Medizin. Wer sie benutzt, scheint studiert zu haben. Wir glauben, er hat Wahn- und Suchtpatienten kuriert und sei deshalb in der Lage, Sucht und Wahn
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