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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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kommt vor: Manchmal ist der Nörgelist, der berufsbedingt in einer Art Daueralarm existiert, erschöpft und findet für eine neue Story einfach keinen rechten Grund zur Panik. Stellen Sie sich seine Verzweiflung vor, wie er mit dem hilflosen Aufschrei in die Redaktionskonferenz stolpert: »Hilfe! Heute geht wirklich gar nichts schief!«
    Jetzt muss der »Formator« ran, ein Redakteur mit Super-Nörgel-Kräften. Er lässt seine Fingerknöchel knacken, furcht die Stirn und zaubert im Nu eine passende Schlagzeile herbei. Zum Beispiel bei dem durchaus erfreulichen Artikel, der mit dem Satz beginnt, »Deutschland ist ein sicheres Land«. Darin stellt Innenminister Schäuble fest, dass die Kriminalität weiter zurückgegangen ist, wie jedes Jahr. Das ist kein bisschen spannend. Also erscheint der Artikel mit der Überschrift: »Polizei warnt vor roher Gewalt in Deutschland«. Oder auch die Story, die folgendermaßen begann: »Es ist ein Lichtblick in Krisenzeiten. Bis zum Oktober sank die Zahl der überschuldeten Bundesbürger«. Sie bekam die Überschrift: »So verschuldet ist Deutschland«.
    Doch das Schlimmste ist, wenn die Tatsachen einfach nicht mitspielen wollen. Da muss der Nörgelist auf der Hut sein. So war es während der Finanzkrise 2008/2009. Normalerweise würde man denken: Ein gefundenes Fressen. Doch von vornherein ging bei dieser Katastrophe nichts so schief, wie es geplant war.
    Man hatte wie üblich klargemacht, dass diese Krise die schlimmste seit Ende des Zweiten Weltkrieges werden würde, und sogar Politiker haben Warteschlangen vor Suppenküchen vorhergesagt. Es sah gut aus – und mit »gut« meine ich »richtig schlimm«. Doch dann dämmerte selbst der Bevölkerung, dass es doch nicht ganz so schlimm war wie 1945 und die einzigen Suppenküchen, die man vermehrt zu Gesicht bekam, waren teure Yuppie-Suppen-Imbissläden in den Einkaufspassagen, in denen Banker mittags schnell was zu sich nehmen.
    Dann ging es Schlag auf Schlag: Fast täglich trudelten gute Nachrichten ein. Die Prognosen waren verheißungsvoll, die Zahlen nicht so schlimm wie erwartet, und in Amerika, wo die Krise tatsächlich eingeschlagen hatte, fingen die Banken sogar an, ihre Darlehen vorzeitig zurückzuzahlen.
    Haben die Nörgelisten aufgegeben? Nein, sie haben gekämpft. Und was war das für ein Kampf!
    Am 24. Juli 2009 trafen direkt hintereinander gleich zwei positive Meldungen ein: »Geschäftsklima verbessert sich überraschend deutlich« und »Experten preisen deutsche Konjunkturprogramme«. Das konnte nicht so stehen bleiben. Schon am nächsten Tag machte der Spiegel deutlich, dass der kleine Mann, egal, wie gut es der Wirtschaft gehe, sowieso nichts davon habe: »Privatanleger verpassen den Aktien-Aufschwung!«
    Direkt am Tag danach fingen die verdammten Wirtschaftexperten wieder an: »Volkswirte verbreiten Konjunkturoptimismus … Mittelständler blicken optimistisch in die Zukunft … Jobmarkt wird mit einem blauen Auge davonkommen …« Da griff ein pfiffiger Nörgelist zu extremen Mitteln: Er warf all denjenigen, die in der Krise noch Geld verdienten, Ausbeutung vor: »Geschäfte mit der Krise! Unternehmen bieten Konzernen externe Problemberatung für deren Mitarbeiter an.«
    Als am 27. Juli die Gesellschaft für Konsumforschung die Meldung herausbrachte, dass die Deutschen wieder zuversichtlich in die Zukunft blickten, schlugen die Nörgelisten vom Spiegel am selben Tag mit einer Verzögerung von ein paar Stunden zurück: »GFK-Index: Warum das Konsumklima besser ist als die Realität.«
    Man muss sich fragen: Warum kämpfen die Nörgelisten so hart? Sie geben alles, nur damit die Deutschen sich nicht zu sehr entspannen. Es gibt kaum eine andere Gruppe von arbeitenden Menschen, die solch einen unermüdlichen Einsatz zeigen. Warum?
    Weil sie eine Verantwortung tragen, die schwerer wiegt als jede andere: Sie allein sind zuständig für das Seelenheil der Deutschen.
    Nachdem die Kirchen in Deutschland unterhaltungstechnisch versagt und damit ihre Aufgabe, dem Volk die Leviten zu lesen, stillschweigend aufgegeben haben, entstand ein moralisches Vakuum, das nur die Nörgelisten ausfüllen konnten. Ihre Arbeit ist keine informative, sondern eine grundlegend moralische, und dafür sollten wir auch dankbar sein, denn unsere Werte verfallen heute jeden Tag schneller als noch am Tag zuvor.
    Fernsehjournalisten in aller Welt nutzen gern ihre Bekanntheit, um in ihrer Freizeit Bestseller zu schreiben und damit ein bisschen

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