Nomadentochter
wolkenloser Tag, der mich an meine Heimat im Süden Somalias erinnerte. Ich warf einen Blick in die Minibar, und ein
djinn
grinste mich an. Er sagte: »Willkommen! Willkommen!« Ich holte die kleinen Flaschen mit Gin, Rum und Scotch heraus und ging schwer beladen ins Bett. In jeder Flasche war ein anderer Teufel, und ich trank sie alle – eine nach der anderen.
Meine Mutter konnte die Teufel fernhalten, aber ich hatte keine Ahnung, wo sie lebte oder ob sie mich überhaupt noch kannte. Sie wusste nichts von Fotografien, geschweige denn von der Arbeit als Model. Meine Familie würde mir die Augen auskratzen, wenn sie wüsste, was ich über unsere Kultur sagte. Ich wollte gern eine Heilerin werden wie meine Mutter – aber mit meinen Vorträgen über die Genitalverstümmelung an Frauen beleidigte ich sie. Sie hat mir beigebracht, nie etwas Böses zu sagen, weil man seine Worte ins Universum hinausschickt und nicht wieder zurückholen kann. Auf einer Schulter sitzt ein schwarzer Engel, Malick, und ein weißer Teufel, Behir, sitzt auf der anderen. Wenn der weiße Teufel meine Mutter veranlasste, etwas Unfreundliches zu sagen, dann bat sie Malick, es wieder zurückzunehmen. »Nimm es zurück, nimm es zurück«, pflegte sie zu wiederholen, bevor es zu weit weg war. »Ich nehme es zurück, ich nehme es zurück«, weinte ich, aber leider war es schon zu spät. Die schrecklichen Dinge, die ich über mein Volk gesagt hatte, hallten bereits im Universum wider. Und ich konnte sie nicht zurücknehmen.
Am liebsten wäre ich für immer in meinem Zimmer geblieben. Ich zog mir die Decke über den Kopf und verkroch mich wie eine Schildkröte unter ihrem Panzer. Mit meiner Angst und Scham war ich ganz allein – eine wertlose Versagerin. Ein Schluchzen stieg in mir auf, das mir schon lange die Kehle zugeschnürt hatte. Furcht begleitete jeden meiner Gedanken. Als ich schließlich einschlief, träumte ich, ich könnte die Ziegen nicht mehr finden. Sie waren weggelaufen, und ich suchte sie überall. Meine Füße bluteten von spitzen Steinen und Dornbüschen, aber ich konnte die Ziegen nirgendwo finden. Ich hörte sie meckern, aber als ich aufwachte, war es mein eigenes Weinen.
Obwohl es mir eigentlich nichts bedeutete, was aus mir wurde, kam Selbstmord nicht in Frage. Meine Mutter hatte mir einmal erzählt, dass sich ein fünfzehnjähriges Mädchen verbrannt hatte, weil ihre Eltern ihr nicht erlaubten, den Jungen zu heiraten, den sie liebte. Sie beerdigten sie nicht, und selbst die Geier mieden ihre Leiche. Als ich in dem glänzend gefliesten Badezimmer den Hahn aufdrehte, um zu duschen, musste ich die ganze Zeit über daran denken, wie meine Mutter sich mit Sand wusch, und hier ließ ich das Wasser literweise in den Abfluss rinnen. Ich starrte mich im Spiegel an. Meine Mutter ist außergewöhnlich schön, aber sie hat noch nie ihr Gesicht gesehen. Ich betrachtete meinen Körper und schämte mich wegen meiner Beine. Auf Grund von Unterernährung in der Kindheit sind sie krumm, und manchmal habe ich deswegen Aufträge als Model verloren. Hungersnöte drohen in Somalia ständig wie die Teufel, die an Kreuzungen lauern. Ich fragte mich, wer von meiner Familie überhaupt noch am Leben war. Es gab nur selten Nachrichten, und wenn, erschütterten sie mich. Mein Bruder, Alter Mann, war tot, ebenso wie meine Schwestern Aman und Halimo. Den ulkigen Bruder meiner Mutter, Onkel Wold'ab, der genauso aussah wie sie, hatte ein Querschläger getroffen, der durch sein Küchenfenster in Mogadischu geprallt war. Auch meine Mutter war angeschossen worden, aber sie hatte überlebt. Von den anderen wusste ich nichts.
Als mein Vater versuchte, mich mit dreizehn an einen alten Stammesgenossen zu verheiraten, lief ich davon. In Somalia müssen Männer einen Brautpreis für eine Jungfrau bezahlen, und dieser kahlköpfige Alte, der sich beim Gehen auf einen Stock stützte, hatte mehrere Kamele für mich geboten.
Eine Frau hat in diesem Fall eigentlich keine Wahl – Frauen müssen einfach heiraten. Es gibt keinen anderen Weg, um in der Wüste zu überleben; unverheiratete Frauen können sich nur prostituieren oder betteln, eine andere Arbeit finden sie nicht. Irgendwie wusste ich, dass es nichts für mich war, Ziegen zu hüten und für einen alten Mann zu sorgen. Ich akzeptierte die Entscheidung meines Vaters also nicht, sondern lief weg. Meine Mutter half mir dabei, und ich weiß bis heute nicht, warum. Vielleicht wollte sie einfach nicht, dass ich einen
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