Nomadentochter
sei faul und würde nicht arbeiten – deshalb würde er nichts für sie bezahlen.«
»Nein! Nhur ist doch die Erste, die am Morgen aufsteht – sie arbeitet härter als alle anderen. Diese Frau ist eine Perle«, warf ich ein.
»Nun, auf jeden Fall ist es ihrer Familie zu Ohren gekommen, und sie wollen deinen Vater zusammenschlagen. Nhur hat damals seine Worte gehört, und jetzt schämt er sich, ihr gegenüberzutreten.« Meine Mutter seufzte. Vielleicht konnte mein Vater sich einfach nicht von den wenigen Kamelen, die ihm geblieben waren, trennen; aber das war keine Entschuldigung dafür, dass er sich vor der Zahlung an Nhurs Familie drückte. In Somalia werden in der Hochzeitsnacht viele Frauen aufgeschnitten, damit ihr Mann in sie eindringen kann. Eine Frau nimmt ein Messer und erweitert die Öffnung so, dass Geschlechtsverkehr möglich ist. Am Morgen sieht die Schwiegermutter bei der Schwiegertochter nach, ob sie blutet und ob sie trotz der Schmerzen mit ihrem Mann geschlafen hat. Wenn das Blut zwischen ihren Beinen frisch ist, tanzen die Frauen durch das Dorf und verkünden es jedem. Alle im Dorf hatten gehört, wie meine Mutter Nhurs Tapferkeit besungen hatte, und dass sie eine Jungfrau war, als sie Burhaan heiratete. Sie wussten, wie schwer sie arbeitete. Sie wussten auch, dass sie für die Geburt ihrer Tochter aufgeschnitten werden und danach erneut zugenäht werden musste. Trotzdem wollte mein Vater den Brautpreis nicht herausrücken, deshalb nannten ihn alle einen Feigling und Geizhals. »Er muss hingehen und ihnen sagen, dass man ihm seine Kamele gestohlen und er kein Geld hat«, meinte ich. »Und er soll nicht überall herumposaunen, sie sei nichts wert.«
Gerade kamen wir mit Kissen beladen zurück, als Nhur ihren Mann begrüßte. Obwohl sie sich nie in der Öffentlichkeit küssen würden, zeigte der Ausdruck auf ihrem Gesicht deutlich, wie sehr sie meinen Bruder liebte. Dann trat Nhur direkt auf meinen Vater zu, der neben Mohammed stand. »Willkommen, Aba«, sagte sie, wobei sie die Augen züchtig niederschlug, obwohl er nichts sehen konnte. Er zuckte ein wenig zurück, als er ihre Stimme erkannte, aber sie ergriff sanft seine Hände und beruhigte ihn. »Aba, du bist bestimmt müde. Komm mit, wir haben ein schönes Bett für dich.« Was für eine wundervolle Frau mein Bruder doch geheiratet hatte! Wir alle sind glücklich, dass sie zu unserer Familie gehört. Meine Mutter hatte die Tücher und Kissen, die sie besaß, vor ihrer kleinen Hütte für meinen Vater zu einem Bett arrangiert, und Nhur half ihm, sich niederzulegen. Er war wirklich müde, zeigte es aber erst, als er in die Kissen sank.
Meine Brüder lagerten sich neben Vater, wie sie es schon in ihrer Kindheit getan hatten. Die Frauen schliefen in den Hütten mit den kleinen Kindern zusammen; die Männer und Jungen blieben draußen, um das Vieh zu bewachen.
In der nächsten Früh kam ich mir vor wie in einem Traum. Ich hatte mich so nach diesem Morgen gesehnt – endlich wieder mit meiner ganzen Familie aufzuwachen. Es fehlten nur meine Schwestern und Aleeke. Die Männer schnarchten noch gemütlich, und ich musste lachen, als ich die langen Beine unter den Decken hervorlugen sah. Sie lagen eng umschlungen da, und man konnte nicht sagen, welches Bein zu wem gehörte. In der Nacht hatte es geregnet, und sie hatten versucht, sich mit einer Plastikplane zu schützen; aber die Decken waren trotzdem schmutzig und feucht. Meine Mutter hatte schon Brennholz gesammelt, und Nhur war auf dem Markt gewesen, um das Frühstück für alle zuzubereiten. Sie hatte sich vor Tagesanbruch auf den Weg gemacht, um sich die besten Angebote zu sichern. Gerade buk sie Angella, und bei dem Duft lief mir das Wasser im Mund zusammen. Mutter hatte die Ziegen gemolken und kam mit Milch für den Tee in einer Blechtasse mit blauem Rand zurück. Sie warf einen Blick auf die verknäuelten Beine und meinte: »Wollen die Kerle denn den ganzen Tag faulenzen?« Meine Mutter flüstert nie, man kann ihre Stimme überall laut und deutlich hören. Prompt wurden die Herren auch wach.
Als Erstes wusch ich an diesem Morgen die verdreckte Kleidung meines Vaters in einer flachen Schüssel. Dafür brauchen wir nicht viel Wasser, nur eine gute Bürste, um die Wäsche sauber zu bekommen; Wasser muss nämlich von weither angeschleppt werden. Also säuberte ich die Sachen, so gut ich konnte, wrang sie aus und breitete sie auf Dornbüschen zum Trocknen in der Sonne aus. Mein Vater lag auf
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