Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Prolog
Sommer 1217
Der Gestank des Flussschlamms war erstickend. Flussschlamm und Kohlenrauch – die Zwillingsdüfte von Cardental.
Corban presste sich den Ärmel über die Nase und atmete flach durch den Mund. Langsam entfernte er sich vom Wasser und schritt eine krumme Gasse entlang, seinem Führer dicht auf den Fersen. Der Stoff hielt zwar den Gestank kaum ab, aber darauf kam es auch gar nicht an; die Geste sollte Corban nicht das Atmen erleichtern, sondern sein Gesicht verbergen. Nur wenige kannten ihn hier, aber er musste das Schicksal ja nicht unbedingt herausfordern.
Vor Jahrhunderten war dies eine stolze Stadt gewesen. Die Baoziten, Erbauer der Festung, die Cardental überragte, hatten einen Flusshafen gebraucht, um die Frachtkähne zu be- und entladen, die Getreide aus dem Ackerland sowie Kohle und Eisen aus den Bergen heranschafften. Dieser Hafen war zu seiner Zeit ohnegleichen gewesen. Unter Ang’duradhs Herrschaft waren Karawanen über die hohen Pässe gezogen und hatten den Schrecken von Speerbrück getrotzt, um in Cardental seltene Kräuter und Pelze zu kaufen. Schiffe mit möwenförmigem Bug und Flachkähne hatten dicht an dicht an den glatten, weißen Kais gelegen.
Die Pracht war lange dahin. Die Festung stand leer, ihre riesigen Hallen erfüllt von Staub und Stille. Im Hafen darunter schob sich bloß noch eine Handvoll ächzender Lastkähne wie sterbende Tiere an den schlickverklebten Kaimauern entlang. Zwischen den Piers sammelte sich Schlamm, der nach dem Abfall der Stadt stank.
Er hätte ein Duftsäckchen in seinen Ärmel nähen sollen. Zu dieser Zeit des Jahres, nach langem sommerlichem Gären, war der Gestank am schlimmsten, und Erleichterung war nicht in Sicht. Im Gegenteil. Wenn Gethel wirklich getan hatte, was er versprochen hatte, erwarteten ihn noch schlimmere Gerüche, bevor das Tagewerk verrichtet war.
Der gebeugte Mann vor ihm schien den Gestank der Straßen nicht wahrzunehmen. Der Saum seiner Robe schleifte durch eine Pfütze, in der sich Schlamm und das Erbrochene eines Betrunkenen vermischt hatten, aber er senkte nicht ein einziges Mal den Blick. Heutzutage bedurfte es mehr als bloßen menschlichen Schmutzes, um Gethel aus der Ruhe zu bringen. Der Mann sah nicht gut aus, und das machte Corban Sorgen. Menschliche Augen sollten nicht so blicklos vor sich hinstarren; menschliche Stimmen nicht so dumpf klingen. Bergluft täte ihm unendlich gut; vielleicht auch eine Reise nach Osten, wo er das Wasser der Drachenblutquelle trinken könnte. Ein Urlaub, zum Auszuruhen.
Aber nicht bevor die Arbeit getan war. Nicht vorher.
»Wie weit ist es noch?«, murrte Corban, als Gethel ihn durch eine weitere stinkende Gasse führte. Vielleicht tränten seine Augen tatsächlich. Eine fette, bösartig aussehende Ratte starrte ihn aus dem Schatten an; ihre Schnurrhaare zuckten, und dann huschte sie in den rissigen Putz am unteren Rand einer Mauer.
»Wir sind schon da.« Gethel bückte sich vor der Tür des Hauses, in dem die Ratte verschwunden war. Kein Schloss oder Riegel sicherte die krummen, verwitterten Bretter.
Gethel legte die Hände auf das trockene, graue Holz, drückte dagegen und nuschelte Silben, die, wie Corban annahm, wohl nach Magie klingen sollten. Ein blauer Funke sprang von seinen Fingerspitzen und traf zischend auf das Holz. Es hätte beeindruckend sein können, hätte Corban nicht gesehen, dass der Mann Rauchpulver aus einer Ärmeltasche gezupft hatte, als er sich zur Tür vorbeugte. Gethel verfügte über keine echte Magie. Keiner der selbst ernannten Zauberer des Hauses der Vier tat das. Sie verfügten bloß über Tricks und Illusionen: Rauchpulver, Taschenspielerkunststücke, ein wenig Alchemie. Echte Magie von der Art, wie sie die Gesegneten Celestias oder die Dornen von Ang’arta befehligten, überstieg die Fähigkeiten dieser Heuchler bei Weitem.
Aber selbst ein Heuchler konnte über Macht stolpern und vielleicht so verrückt sein, danach zu greifen, während ein vernünftiger Mann zurückgeschreckt wäre. Gethel, geblendet von seinem Glauben, dass Magie gemeistert werden könne, ohne sich vor den Göttern zu verneigen, verfügte nicht über die Weisheit, achtsam zu sein. Er hatte keine Ahnung, was er da gefunden hatte.
Corban gab sich keinen solchen Illusionen hin. Er wusste, was es war. Zumindest teilweise. Und er wusste auch, dass es keinen Grund gab, die Wahrheit mit Gethel zu teilen. Sollte der Mann ruhig glauben, was er wollte. Auf diese Weise war er ihm weiter
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