Nora Morgenroth: Der Hüter
heimelige ehemalige Bauernhaus in Altenstein, einem Zweihundert-Seelen-Dorf zwischen Erzfeld und Vallau. In einem Anfall von Leichtsinn hatten wir zugeschlagen und, obwohl wir uns zu dieser Zeit erst gerade ein Jahr kannten, zusammen das Haus gekauft.
Olivers Mutter hatte , als wir unsere Entscheidung verkündeten, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und uns dann beide geküsst und beglückwünscht. Meine Mutter dagegen hatte uns steif die Hand gereicht und dann ihr Scheckbuch gezückt. Natürlich war sie beleidigt gewesen, dass wir ihre Dienste als Immobilienmaklerin nicht in Anspruch genommen hatten. Dabei wusste sie genau, dass wir uns die Art von Objekten, die sie vermittelte, auch in hundert Jahren nicht würden leisten können, geschweige denn wollen.
Für Oliver und mich war das Haus ein Glücksfall, der uns zu einer Zeit in den Schoß geplumpst war, als wir noch nicht im Entferntesten daran gedacht hatten, etwas Eigenes zu kaufen. Nicht einmal die Möglichkeit, dass wir zusammenziehen könnten, hatten wir mehr als spielerisch ins Auge gefasst. Wir waren beide sehr verliebt gewesen, denke ich, aber es hatte eben auch keine Eile gehabt. Dann hatte Oliver in einem Fall ermittelt, der ihn in die Nachbarschaft unseres heutigen Heims führte. Wie sich herausgestellt hatte, war der Tatverdacht unbegründet gewesen. Zur Entlastung des Verdächtigen hatte maßgeblich eine Zeugin beigetragen, die Oliver mehrmals befragen musste. Aus Rücksicht auf das Alter der Zeugin hatte er sie dann zuhause aufgesucht. Am Abend hatte er mir von dem gemütlichen Bauernhaus vorgeschwärmt. Dann musste er die Zeugin wegen einer Formalität ein letztes Mal aufsuchen. Bei dieser Gelegenheit bat Frau Martensen Oliver herein und servierte ihm einen vorzüglichen, von Hand aufgebrühten Kaffee. Als er sich schon verabschieden wollte, erwähnte sie ihre Entscheidung, das Haus zu verkaufen und in eine Seniorenresidenz in Vallau zu ziehen, wo die beiden erwachsenen Töchter mit ihren Familien lebten.
Drei Tage später saßen wir zu dritt in Ludviga Martensens Wohnküche und ich verstand, was Oliver an diesem Gemäuer so bezaubert hatte. Es war malerisch, wenn auch renovierungsbedürftig. Nur deshalb konnten wir es uns überhaupt leisten. Der Kaufpreis, auf den wir uns geeinigt hatten, war wohl für beide Seiten fair. Wir würden einiges an Zeit und Geld in die Renovierung stecken müssen, aber dafür bekamen wir auch ein gut zweitausend Quadratmeter großes Grundstück. Es war etwas verwildert, aber wunderschön. Und nun waren wir hier.
Es waren alles in allem außergewöhnliche Umstände gewesen, die mich in dieses neue Leben geführt hatten. Es war ja nicht nur das Haus. Mehr als zwei Jahre waren vergangen, seit ich Oliver kennengelernt hatte. So vieles war seitdem anders geworden und eigentlich hatte sich alles nur zum Guten verändert, wie ich fand.
Als wir im letzten Jahr nach Altenst ein gezogen waren, hatte ich die Halbtagsstelle bei Books & More ohne großes Bedauern gekündigt. Ich half in dem Buchladen nur noch aus, wenn sie bei Krankheit oder Urlaub eine Vertretung brauchten. Oliver und ich waren überein gekommen, dass es nicht sinnvoll war, teure Handwerker zu beschäftigen, weil wir beide keine Zeit hatten für die Arbeiten im Haus. Meine Arbeitskraft war eindeutig billiger, außerdem hatte ich festgestellt, dass die Renovierung mir viel Freude machte. Ich lernte zu schleifen, streichen, tapezieren und was sonst noch notwendig war. Nur für die Elektrik und Sanitäranlagen ließen wir Handwerker kommen. Und an den Wochenenden oder wann immer Oliver frei hatte, werkelten wir zusammen.
Die Arbeit i n der Stadt vermisste ich nicht allzu sehr. Lediglich der Kontakt mit meinen Kolleginnen fehlte mir manchmal. Aber wenn ich das Gefühl hatte, dass mir die Decke auf den Kopf fiel, dann sprang ich ins Auto und fuhr in die Stadt. Meistens kam ich jedoch gar nicht dazu, mich zu langweilen. Es gab nämlich noch einen anderen Grund dafür, dass ich meistens zuhause war: Ich hatte angefangen zu schreiben. Bald nach den Ereignissen, die Oliver und mich zusammengeführt hatten, hatte ich das Bedürfnis verspürt, das Erlebte in irgendeiner Form schriftlich zu verarbeiten. Und dann war etwas Eigenartiges geschehen: Nach den ersten zögerlichen Versuchen war ich in eine Art Rausch geraten und hatte über mehrere Monate hinweg wie besessen geschrieben. Nachdem Bille das fertige Manuskript gelesen hatte, ließ sie mir keine Ruhe, ehe
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